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In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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einem forschenden Blick. Für ihn handelte es sich eindeutig um eine Messerwunde. »Haben Sie eine Ahnung, wer der Mann sein könnte?«
    Phillips schüttelte den Kopf, während er die Wunde noch untersuchte. »Niemand, den ich gekannt habe.« Er warf Orrin Hatfield einen Blick zu. »Was meinen Sie? Mord?«
    Der Leichenbeschauer zuckte mit den Schultern. »Vermutlich. Aber spontan gesprochen - ich glaube, den Täter werden wir nie finden. Ganz zu schweigen vom Motiv für den Mord. Und falls er an den Fallen eines anderen Moorbewohners gewildert hat, wird es sowieso nie herauskommen.«
    »Irgendein besonderes Erkennungsmerkmal?« fragte Kitteridge.
    »Nicht das geringste.« Hatfield fixierte ihn. »Haben Judd oder Marty draußen im Moor denn gar nichts gefunden?«
    »Jedenfalls haben sie davon nichts berichtet. Aber, meine Güte - wie alt ist dieser Mensch gewesen? Neunzig?«
    Warren Phillips Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Schwer zu sagen bei diesen Sumpfratten. Und um eine Sumpfratte handelt es sich hier mit Sicherheit.«
    Kitteridge seufzte unhörbar. Er hatte längst begriffen, dass im Sumpfgebiet eine Gemeinschaft von Menschen lebte, die sich gegen die Stadt verschloß und ihre Geheimnisse für sich behielt; in der Stadt sah man selten einen, aber das Moor war voll von ihnen - Menschen mit fahlen Gesichtern, in faulenden Booten; die Fallen stellten und Netze auslegten und der Wildnis einen kargen Lebensunterhalt abrangen. Über sie gab es keine Geburtsurkunden, keine Schulzeugnisse - nichts. Wie Kitteridge von Phillips erfahren hatte, brachten die meisten Frauen ihre Kinder noch immer bei sich daheim zur Welt.
    Als Kitteridge zu bedenken gegeben hatte, dass sie damit aber wahnsinnige Lebensrisiken eingingen, hatte Phillips ihm zugestimmt. »Sie tun’s trotzdem«, beharrte er. »Es ist primitiv, aber so sind sie nun einmal. Wir erfahren nichts davon, wenn die Babys sterben. Für die alten Leute gilt das gleiche: Sie sterben, die Angehörigen begraben sie - aus. Manchmal bringen sie sich gegenseitig um - auch davon hört kein Außenstehender etwas. Höchstens Gerüchte. Mehr nicht.«
    Diese Worte kamen Kitteridge jetzt in dem winzigen Leichenschauhaus wieder in den Sinn. »Sie meinen, dass wir hier die Leiche eines Mannes vor uns haben, der offiziell wahrscheinlich nie existiert hat?« wollte er wissen.
    Phillips zuckte nur mit den Schultern.
    »Es wäre nicht das erstemal, Tim«, bekräftigte Hatfield. »Ich weiß, es klingt verrückt, aber von Zeit zu Zeit taucht im Moor eine Leiche auf, die keiner identifizieren kann. Verdammt, da gibt’s womöglich mehr Leichen, als wir je wissen werden. Wenn Amelie Coulton nicht den Schrei gehört hätte, läge die hier auch noch im Sumpf - dann wäre sie inzwischen von den Tieren gefressen worden, und niemand hätte sie bemerkt.«
    Oder sich um den Menschen gekümmert, dachte Kitteridge, als er ein paar Minuten später die Klinik verließ, um sich im Auto auf dem Weg ins Polizeiquartier von neuem zu fragen, ob er die ganze Sache wirklich als ungewöhnlich betrachten musste.
    In Südkalifornien lagen die Dinge doch auch nicht anders. Dort lebten Mexikaner und andere illegale Einwanderer unter den übrigen Einwohnermassen außerhalb des Systems und gingen in der Gesellschaft unter wie die Sumpfratten von Villejeune in den Marschen.
    Und wenn Generationen von Menschen im Moor gelebt hatten, ohne sich um das zu kümmern, was in der restlichen Welt vor sich ging - warum sollten sie sich ändern?
    Warum sollten sie nicht weiterleben wie bisher?
    Er musste plötzlich an ein Gespräch denken, das er eine Woche nach seiner Ankunft in Villejeune mit Judd Duval geführt hatte. Ob er hier in der Stadt aufgewachsen sei, hatte der Deputy wissen wollen. »Ich nicht«, hatte Duval lachend geantwortet. »Ich bin ‘ne Sumpfratte. Keine echte, weil ich ein paar Dinge schätz’, die’s im Sumpf eben nicht gibt. Beispielsweise Elektrizität. Und Schnaps, den ich mir nicht selbst brenne. Aber ich gehör’ zum Moor. Seit immer. Für immer.« Er hatte gegrinst. »Sie können fragen, was dort vor sich geht - aber ich sag’s Ihnen nicht. Ich nicht. Keiner von uns.«
    »Klingt geheimnisvoll«, hatte Kitteridge bemerkt.
    Judd Duval hatte die Augen leicht zusammengekniffen. »Das hat nichts mit Geheimnissen zu tun. Wir wollen dort bloß in Ruhe gelassen werden. Das ist alles. Wir haben unsere eigene Lebensart, und die geht niemanden sonst etwas an.«
    Phillips und Hatfield schienen das zu

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