Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
der
Speditionsfirma SICHER UND SCHNELL kam aus der Stadt. Wagner, ein junger
Fahrer, hatte noch nichts geladen, wollte zur nahen Kreisstadt und war etwas
unausgeschlafen. Er hatte letzte Nacht mit seiner Braut gefeiert, und der
schwere Wein steckte ihm noch in den Haarspitzen. Freilich hinderte ihn das
nicht, die 250-PS-Maschine mit Vollgas zu fahren. Die Straße war frei. Und
trocken. Und die Sicht reichte weit. Und im übrigen: Wer in einem so stabilen
Führerhaus sitzt — was kann dem passieren?
    Das zweite Fahrzeug näherte sich aus
Richtung Hängenbach. Es war kastenförmig und grün: ein Transporter der
Justiz-Vollzugsanstalt (Gefängnis) Hängenbach.
    Zwei Strafgefangene wurden zur Stadt
übergeführt — in eine Haftanstalt, die ausbruchsicher war. Georg Hardtke und
Otto Fensel galten als gefährliche Berufsverbrecher. Ihrer Sehnsucht nach
Freiheit war jedes Risiko recht. Sie hatten mehrjährige Strafen vor sich —
wegen bewaffneten Banküberfalls.
    Mit Handschellen gefesselt, saßen sie
jetzt im Kastenraum. Die kleinen Fenster ließen nur wenig Morgenlicht herein.
Im Zwielicht dösten die beiden vor sich hin: mürrisch, wütend über ihre Lage
und das Schicksal und die verdammte Polizei, die sie doch wieder erwischt
hatte.
    Hardtke war 50 Jahre alt und mehrfach
vorbestraft. Sein Dreieck-Gesicht — mit sehr schmaler Stirn — wirkte roh. Eine
Hautkrankheit hatte Spuren hinterlassen. Seine Haut war narbig und fleckig wie
ausrangiertes Fußbaileder. Er hatte riesenhafte Hände mit kurz-bekauten
Fingernägeln. Langsames Denken war ihm angeboren. Aber wenn er zu einem
Ergebnis gekommen war und einen Entschluß daran anknüpfte, hielt er stur daran
fest.
    „Mist?“ sagte er jetzt durch die Zähne.
    „Was?“
    „In Hängenbach wäre es leichter
gewesen. Irgendwann hätten wir die Platte geputzt (abhauen) .“
    „Wem sagst du das!“
    „Wie?“
    „Ich meine, du hast recht.“ Fensel
seufzte.
    „Klar habe ich recht. Jetzt können wir
uns auf acht Jahre Knast einrichten.“
    „Ohne mich.“
    „Hah! Was willst du denn machen? Selbst
bei bester Führung wird’s nicht weniger. Nicht bei uns! Dafür sind wir schon zu
oft drin gewesen.“
    „Wenn du damals nicht“, begann Fensel, „den
dämlichen...“
    „Fang’ nicht schon wieder an!“
unterbrach Hardtke seinen Komplicen. „Ich habe keine Schuld. Du hast... Aber
das ist jetzt egal! Sie haben uns erwischt. Wir sitzen im Dreck. Und ich weiß
nicht, wie wir rauskommen.“
    „Ich auch nicht.“

    Beide Fahrzeuge — der Laster der
Speditionsfirma SICHER UND SCHNELL mit Wagner am Lenkrad und der Gefangenentransporter
— hatten sich inzwischen der ölverschmierten Kreuzung ein gutes Stück genähert.
    „Letzte Nacht habe ich was Komisches
geträumt“, sagte Fensel. „Es gab ein Erdbeben, und die Knastbude, in die wir
jetzt kommen, fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Du hast einen Zementbrocken auf
die Rübe gekriegt.“ Er grinste. „Aber mir ist nichts passiert. Ich habe dich
dann rausgeschleift, und wir sind zusammen getürmt. Schöner Traum, was?“
    „Ein blöder Traum!“
    „Weshalb?“
    „Na, wenn man dann aufwacht, und es ist
alles nicht wahr — kann man glatt die Nerven verlieren. War ich verletzt?“
    „Was?“
    „Ich meine, ob der Zementbrocken mich
stark beschädigt hat?“
    „War nicht weiter schlimm. Hat ja
keinen wichtigen Körperteil getroffen. Stell dir vor, er wäre dir auf die Füße
gefallen.“
    „Hahah!“
    Nach Hardtkes gequältem Lachen redeten
sie nicht mehr.
    Der fällt wirklich auf alles rein,
dachte Fensel. Dem kann man erzählen, was man will — er glaubt es. Aber wenn
ich ihm jetzt sage, daß ich überhaupt nichts geträumt habe, würde er wütend
werden. Hätte mir einen Kumpel suchen sollen, der mehr Phantasie hat. Dann
säßen wir jetzt nicht hier.
    Fensel starrte auf die Handschellen an
seinen Gelenken, und die miese Stimmung — dieses Gemisch aus
Niedergeschlagenheit und Haß — nahm wieder Besitz von ihm.
    Fensel war erst 32, stand aber seinem
Komplicen an Vorstrafen nicht nach. Er hatte eine hellblonde Hippie-Mähne,
rosige Haut und blaßblaue Augen. In der Unterwelt hatte man ihm den Spitznamen
,Vanille’ gegeben. Den haßte er. Sein schwerer Körper neigte zum Fettansatz.
Arme und Beine waren kurz geraten, und der Kopf saß — fast ohne Hals — auf den
Schultern.
    Während die beiden sich unerquicklichen
Gedanken hingaben, war die Stimmung vorn in der Fahrerkabine etwas besser.
    Justizwachtmeister

Weitere Kostenlose Bücher