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In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Umkehr
entschieden hätte — es wäre nicht mehr möglich gewesen.
    Etwa 100 Meter vor ihm trat der Tiger
auf den Weg. Er kam von links, aus dem dichten Wald, verhielt, wandte den Kopf
und starrte Glockner an.
    Die Lefzen zogen sich zurück und gaben
das furchterregende Gebiß frei. Der Schwanz peitschte den Boden.
    Dann kam die riesenhafte Bestie auf ihn
zu.
    Für Sekunden war der Kommissar wie
gelähmt. Er hatte sich nicht ausmalen können, wie groß das Tier war, wie
gefährlich es wirkte.
    Mit langen Sprüngen legte Napur die
Strecke zurück.
    Glockner warf sich herum. Der erste
Impuls war, um sein Leben zu rennen — auch wenn ihn das nicht gerettet hätte.
Dann sah er den Ansitz, von dem ihn nur wenige Meter trennten.
    Er jagte die Leiter hinauf. Sie
kippelte. Die vierte Sprosse fehlte. Beinahe wäre er abgestürzt. Keuchend kam
er oben an. Als er auf die letzte Sprosse trat, zerbrach sie wie morscher
Zunder.
    In derselben Sekunde wurde an der Leiter
gerüttelt. Der Tiger sprang an ihr hoch.
    Glockner warf sich nach vorn, landete
mit der Brust auf dem Boden des Hochstandes, hielt sich fest und kroch vollends
hinauf.
    Als er sich umwandte, sah er, wie Napur
die Leiter erklomm. Tatze über Tatze zog er sich hoch. Die Lücke bei der
vierten Sprosse war bereits überwunden.
    Glockner faßte die Holme und stieß die
Leiter um.

    Napur fiel auf den Rücken. Neben ihm
polterte die Leiter auf den Weg. Ein Prankenhieb zerschmetterte einen der
Holme. Dann reckte Napur den Schädel. Mit zornigem Gebrüll schleuderte er dem
Zweibeiner dort oben seine Wut entgegen.
    Schweratmend kniete Glockner nieder.
Knapp, ganz knapp war er mit dem Leben davongekommen. Jetzt versuchte er, sich
vor dem Tiger zu verbergen, um nicht dessen Wut anzustacheln.
    Durch die Ritzen zwischen den dünnen
Stämmen, die den Boden bildeten, beobachtete er das Tier.
    Napur zog enge Kreise unter dem
Hochsitz und starrte immer wieder herauf.
    Wie sicher war der Ansitz? Die vier
Pfähle würden Napurs Ansturm nicht standhalten. Wenn er sich gegen sie warf,
würde der Hochstand umkippen.
    Er kann mich runterschütteln wie eine
reife Pflaume, dachte Glockner. Wenn er auf die Idee kommt! Aber er ist ein
Tier. Es denkt nicht. Es handelt instinktiv — in seiner begrenzten Vorstellungswelt.
Was wird er tun?
    Napur geiferte zornig. Aber allmählich
schien sein Interesse zu erlahmen.
    Plötzlich stand er still.
    Glockner sah, wie die Schnurrhaare
zitterten. Er schien zu lauschen. Sein Kopf war in die Richtung gewandt, wo
Tarzan und die Mädchen sich befinden mußten.
    In diesem Moment hörte Glockner das
Hundegebell.
    Es war weit entfernt — endlos weit,
drang kaum bis hierher, wurde fast vom Summen der Bienen übertönt.
    Dennoch erkannte Glockner, daß es Oskar
war.
    Elegant setzte der Tiger sich in
Bewegung. Schnell lief er den Weg entlang. Anfangs schien es ihn nicht zu
stören, daß er gänzlich ungedeckt war. Dann gewann der angeborene Instinkt die
Oberhand, und er wich unter die Bäume. Aber an der Richtung änderte sich
nichts.
    Glockner konnte seinen Weg anhand der
wippenden Zweige verfolgen.
    Er war wie gelähmt. Seine Hände wurden
eiskalt. Er wußte: In wenigen Minuten hatte der Tiger die Kinder erreicht.
    Trichterförmig legte er die Hände vor
den Mund.
    „Taaarzaaan!“ rief er mit aller Kraft
seiner Lungen. „Der Tiger kommt auf euch zu! Der Tiger kommt! Klettert auf
Bäume! Bringt euch in Sicherheit!“
    Er ließ die Hände sinken und horchte.
Er lauschte auf Antwort. Aber er hörte nichts.
    Oskar bellte nicht mehr.
    Der Tiger war verschwunden.
    „Mein Gott!“ flüsterte Glockner. „Gaby,
Tarzan — steigt auf die Bäume! Klettert so hoch ihr könnt!“
    Die beiden Verbrecher hockten zur
selben Zeit hinter dichtem Gebüsch und glotzten zu den Häusern hinüber.
    Georg Hardtkes Dreieck-Gesicht war
starr. Ihm schmerzte jeder Knochen. Außerdem spürte er Hunger und Durst.
    Immer wieder tastete er nach der
Pistole, die er dem Justizwachmann abgenommen hatte und die jetzt in seinem
Gürtel steckte.
    Otto Fensel, genannt, Vanille’, strich
sich über die borkigen Lippen. Seit Stunden träumte er von einem kühlen,
schäumendem Bier. Seine rote Haut war von der Sonne noch röter geworden. In der
blonden Hippie-Mähne klebten Tannennadeln und Schweiß.
    Fensel hielt seine Pistole ständig in
der Hand.
    Ein langer Vormittag in Freiheit lag
hinter ihnen. Aber es war enttäuschend gewesen. Strapaze, Hunger, Durst. Und
sie wußten nicht, wie es

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