In den Klauen des Tigers
weitergehen sollte.
Sie waren im Wald umhergeirrt, hatten
den Hubschrauber gehört und — aus der Ferne — die Polizisten gesehen.
Als sie sich dem Waldrand näherten,
bemerkten sie die Postenkette und der Schreck fuhr ihnen wie heißer Stahl in
die Knochen.
Jetzt befanden sie sich waldseitig
hinter Lerchenau.
Aus acht Häusern, aufwendigen Bungalows
mit Swimmingpool und allem Drum und Dran, bestand diese Siedlung. Gepflegter
Rasen umgab die Gebäude. Zum Nachbarn hin war genügend Abstand, um sich
gegenseitig nicht auf die Nerven zu fallen. In den Garagen standen teure Autos.
Zwei parkten auf der Straße.
Dort parkte auch der Streifenwagen. Nur
einer. Ursprünglich hatte man im Polizeipräsidium zwei vorgesehen, aber die
Absicht dann geändert. Ein Wagen mit zwei Scharfschützen genügte, fand man, um
die Lerchenauer — ausnahmslos Geldadel — vor dem Tiger zu schützen.
Daß es um den ging, davon ahnten die
beiden Verbrecher freilich nichts.
„Kein Aas zu sehen.“ Fensel stöhnte.
„Sie werden drin sein. In ihren Hütten.
Bei der Hitze.“
„Klar. Wo auch sonst.“
„Außerdem haben sie Schiß. Vor uns.“
„Es ist nicht zu glauben!“ Fensel
schüttelte seinen Vanille-Kopf. „So ein Aufgebot! Bullen über Bullen.
Hubschrauber! Streifenwagen. Und alles wegen uns!“
„Da kannst du mal sehen, wie
Steuergelder sinnlos vergeudet werden.“
„Stimmt.“
„Es käme den Staat billiger“, Hardtke
kratzte sich im Genick, „wenn man uns laufen ließe.“
„Die wollen’s aber wissen. Mistvolk.
Die bieten auch noch Bundesgrenzschutz auf, um uns zu kriegen.“
„Zuviel Ehre!“
Sie schwiegen eine Weile und
beobachteten die Häuser.
Vor einigen Fenstern waren die
Jalousien herabgelassen.
„Jedenfalls“, nahm Hardtke das Thema
wieder auf, „lasse ich mich nicht einfangen. Wer mir zu nahe kommt — also, ich
schieße mir den Weg frei.“
„Ich auch. Aber ich möchte wissen, zum
Henker, woher die so genau wissen, daß wir im Wald stecken.“
„Gesehen hat uns keiner.“
„Bestimmt nicht.“ Fensel kaute auf der
Unterlippe.
„Was ist nun das Beste: Im Wald
bleiben? Oder durch die Postenkette schleichen, sobald es dunkel wird?“
„Und dann?“
„Ja, wenn ich das wüßte.“
„Eben! Draußen knallen sie uns ab, wenn
wir nicht gleich die Hände heben. Hier verhungern wir. Uns in der Stadt zu
verstecken, ist sinnlos. So wie wir aussehen — ein Blinder mit ‘nem Krückstock
würde uns erkennen.“
„Bis jetzt sagst du nur, was nicht geht“,
maulte Hardtke.
„Wir müssen in eins der Häuser.“
„Was?“
„Willst du noch länger Kohldampf
schieben? Mir klebt die Zunge am Zäpfchen. Wir gehen rein in eine dieser
stinkfeinen Hütten, krallen uns Mama, Papa und die lieben Kinderlein und haben
mehr Geiseln als wir brauchen. Kapiert?“
„Heiße Sache.“
„Anders geht’s nicht mehr. Wenn die
Bullen unseretwegen alles aufbieten, was sie haben, wollen wir uns nicht lumpen
lassen. Aber du sollst sehen: Keine Hand rührt sich, wenn wir einer Geisel den
Ballermann an die Rübe halten, in einen schicken Schlitten steigen und
abzischen. Ab in ‘ne grenznahe Gegend, kapiert? Sind wir erstmal im
Nachbarland, sieht alles viel besser aus.“
Hardtke grinste. „Wollte schon seit
langem wiedermal verreisen.“
„Na, also!“
Durch die Zweige beobachteten sie die
Häuser.
Ein L-förmiger Bungalow aus hellem
Naturstein war nur durch den Garten von ihnen getrennt. Der Jägerzaun verlief
vor dem Gebüsch, hinter dem sie hockten. Im Garten wuchsen Sträucher. Als
Deckung zum Anschleichen reichte das.
Auf der Terrasse standen Gartenmöbel
und eine rotgeblümte Hollywood-Schaukel.
„Wir schleichen nach links“, sagte
Fensel. „Dann ist das Haus zwischen uns und dem Streifenwagen. Über den Zaun!
Geduckt zur Terrasse! Und rein in die Bude. Die Terrassentür ist nur angelehnt.
Das sehe ich. Wahrscheinlich sind nur die beiden drin, die sich am Fenster
gezeigt haben. Wir müssen so schnell sein, daß sie nicht um Hilfe rufen und
nicht ans Telefon können.“
„Klar.“
Am Fenster hatten sie einen Mann und
eine junge Frau gesehen.
Hardte nahm seine Pistole in die Hand.
Das Gebüsch zog sich am Zaun entlang
und bot Deckung.
Die Polizisten saßen im Streifenwagen
und schienen sich zu langweilen. Weder sie noch die Lerchenauer rechneten
damit, daß der Tiger hier auftauchte.
„Es müßte schon ein sehr bescheuerter
Tiger sein“, sagte Eduard von Plockwind in diesem Moment zu
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