In den Klauen des Tigers
ich
verstehen. Mag ja sein, daß Napur für sie keine Gefahr ist. Für Karl und den
gutdurchwachsenen Willi aber um so mehr.
Er fuhr bis Lerchenau, versteckte dort
sein Rad im Gebüsch, umging die Siedlung und achtete darauf, daß er nicht
gesehen wurde. Natürlich bemerkte er den Streifenwagen.
Hinter Lerchenau wurde der Wald
dichter. Tarzan trabte los auf gut Glück. Und das Glück war mit ihm. Etwa einen
Kilometer weiter stolperte er über einen der — für Napur ausgelegten — Fleischbrocken.
Ein Fliegenschwarm hatte sich darauf
niedergelassen. Alles summte und sirrte und war ziemlich eklig.
Die Richtung stimmte also. Er trabte
weiter, begann zu schwitzen, zog die Fliegerjacke aus und band sie sich um die
Hüften. Später zog er die Jacke wieder an, weil Mücken und Bremsen sich für
seinen verpflasterten Rücken interessierten.
Er war jetzt weit genug vorgedrungen,
um Lautsignale zu geben.
„Haaallooo!“ rief er durch den Trichter
seiner Hände.
Aus einem dichten Gebüsch, kaum 30
Meter vor ihm, kam die Antwort.
„Hallo! Wer da?“
Er erkannte Zeisigs Stimme.
Die vier Zirkusleute waren beieinander
geblieben und staunten nicht schlecht, als Tarzan plötzlich vor ihnen stand.
Sie wirkten ziemlich erschöpft, hatten alles Fleisch ausgelegt und befanden
sich bereits auf dem Rückweg.
„Und wo sind Karl und Willi?“ fragte
Tarzan.
Zeisig erklärte, sie wären beim Wagen
zurückgeblieben.
„Dort sind sie nicht“, berichtete
Tarzan. „Hm. Könnte mir denken, die haben sich gelangweilt. Oder — was noch
wahrscheinlicher ist —: Willi hat’s wiedermal vor Hunger nicht ausgehalten.
Bestimmt sind sie zum Heinrichstal gelaufen. Das ist ja nicht weit.“
Dann erzählte er, wie es ihm und dem
Kommissar bei der Suche nach den Mädchen ergangen war. „Nochmal möchte ich
Napur nicht begegnen“, meinte er abschließend.
Die Zeisigs zeigten betroffene
Gesichter.
„O weh!“ meinte der Zirkusdirektor. „Dann
war unsere Mühe umsonst! Wenn Napur vorhin noch so tief im Wald war, kommt er
bestimmt nicht in dieses Gebiet. Nur ein besonderer Grund könnte ihn
hertreiben. Aber ich wüßte nicht, was. Wir können nur hoffen, daß ihn keiner
der Scharfschützen aufspürt. Dr. Jansen bleibt unsere einzige Hoffnung.“
„Dann haben wir hier nichts mehr
verloren“, meinte Leni.
Gemeinsam gingen sie zurück.
Tarzan holte sein Rad, ohne daß er von
den beiden Polizisten bemerkt wurde.
Ihm widerstrebte zwar, es in den
ungelüfteten Kofferraum zu legen. Andererseits wollte er das Angebot der
Zeisigs, mit ihnen zu fahren, nicht zurückweisen.
„Jetzt ist die Zufahrt natürlich
gesperrt“, sagte der Zirkusdirektor. „Aber ich glaube kaum, daß es Ärger gibt.
Die Polizisten wissen ja nicht, daß wir unerlaubt in den Wald reingefahren
sind. Wenn einer der Lerchenauer hinaus will — per Wagen, wird man ihm das
bestimmt nicht verwehren.“
„Zumal man im Wagen verhältnismäßig
sicher ist“, nickte Leni.
Sie stiegen ein, Zeisig manövrierte den
Chevrolet rückwärts zur Straße. Dann rollten sie dem Waldrand entgegen.
*
Die Verbrecher hatten alle Gardinen und
Vorhänge geschlossen. Im großen Kaminzimmer herrschte gedämpftes Licht. Und so
war auch die Stimmung — jedenfalls bei Edu von Plockwind, seiner Frau Susanne,
Klößchen und Karl.
Fensel und Hardtke zeigten Zuversicht
in ihre nahe Zukunft. Sie hatten den Eisschrank geplündert und Delikatessen
vorgefunden, die sie nicht mal dem Namen nach kannten. Sie hatten etliche Biere
getrunken. Jetzt sah die Welt wieder besser aus. Sie konnten sogar über den
grotesken Umstand grinsen, der ihnen Karl und Klößchen als zusätzliche Geisel
zugespielt hatte.
„Wir hauen ab, sobald es dunkel ist“,
sagte Fensel.
„Aber erst muß der Streifenwagen weg
sein“, nickte Hardtke.
„Das wird nicht mehr lange dauern. Die
Treibjagd auf den Tiger ist sicherlich bald aus.“
Fensel saß bei einem der Fenster, so
daß er die Straße im Auge behielt.
Hardte hatte eine Flasche Bier in der Hand
und lief beim Kamin auf und ab.
Die Plockwinds hockten auf der Couch.
Die Angst hatte Edu versteinert. Seit einer halben Stunde rührte er sich nicht.
Nur die rollenden Augen verrieten, daß er am Leben war. Seine angebliche
Kühnheit hatte heute offenbar Ausgang. Er bot das Bild eines Großwildjägers,
über den die Tiere sich kaputtgelacht hatten.
Susanne blieb kühl, trank immer noch
Tee und ärgerte sich mehr über ihren waschlappigen Mann als über
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