In den Klauen des Tigers
die
Ausbrecher.
Jetzt zeigt er, wie er wirklich ist,
dachte sie. Bin gespannt, was für eine Geschichte er darüber erfindet.
Karl und Klößchen hatten Clubsessel
belegt. Karl zermarterte sein Computer-Gehirn, suchte nach einem risikolosen
Ausweg, fand aber nichts.
Klößchen nährte seinen Haß gegen die
Verbrecher. Todfeinde waren das. Seine, jedenfalls. Aus besonderem,
unverzeihlichen Grund. Er hatte nämlich, als die beiden ihre Freßorgie begannen,
um ein Häppchen gebeten — wegen nagendem Hunger. Erhalten hatte er nichts.
Jedenfalls nichts außer Spott.
„Bist fett genug, Dickwanst“, hatte
Fensel gesagt — und sich über das dritte Stück Schokoladentorte hergemacht.
„Und wie?“ fragte Hardte jetzt.
„Was meinst du?“ Fensel trank einen
Schluck aus der Bierflasche.
„Wie hauen wir ab? Wen nehmen wir mit?“
Fensel grinste. „Plockwind wird
gefesselt und im Keller eingesperrt. Seine Alte und die beiden Rotzlöffel
nehmen wir mit“.
Jetzt wird er auch noch beleidigend,
dieser Saukerl! dachte Klößchen.
„Ist dein Wagen aufgetankt?“ wandte
Hardtke sich an Edu.
Der rührte sich nicht.
„Heh!“ Fensel stieß ihn mit der Waffe
an, und der Hausherr erschrak. „Ob Sprit in deiner Karre ist?“
„Ja, äh... der Tank müßte voll sein.“
„Was für’n Wagen?“
„Ich habe einen Mercedes. Meine Frau
fährt einen Alfa.“
„Den Mercedes nehmen wir“, meinte
Fensel.
Er blickte zur Straße hinaus und
beobachtete, wie der hünenhafte Polizist mit dem roten Gesicht aus dem Wagen
stieg.
Das war kein Grund zur Panik.
Rotgesicht machte regelmäßig die Runde um die Siedlung. So auch jetzt. Er nahm
seine Aufgabe ernst und behielt den Waldrand im Auge. Mit festem Schritt
verschwand er aus Fensels Blickfeld.
„Ich seh mich mal um“, sagte Hardtke. „Bestimmt
sind transportable Werte im Haus. Du kommst mit und zeigst mir’s“, wandte er
sich an Susanne. „Ich meine Geld, Schmuck, Goldmünzen. Klar?“
Susanne blieb sitzen.
„Ich werde Ihnen nicht dabei helfen,
uns auszuplündern“, sagte sie.
„Nein?“ Hardtke wog seine Pistole in
der Hand. Soll ich dir mal erzählen, wie viele Frauen ich schon verdroschen
habe? Und daß es mir nicht darauf ankommt, mit dir die Reihe fortzusetzen?“
Brutalität stand in seinem
Dreieck-Gesicht. Niemand zweifelte, daß er seine Drohung wahrmachen würde.
Susanne erbleichte. Mit hängenden
Schultern stand sie auf und kam seiner Aufforderung nach.
*
Zweige bogen sich und schnellten
zurück. Äste brachen. Hohes Gras strich über seine Flanken.
Napur, der Königstiger, jagte durch den
Wald.
Er war aufgeregt, fast verängstigt.
Dieses donnernde Ungetüm war vom Himmel auf ihn herabgestoßen, war ein übermächtiger
Feind. Dann hatte es ihn verfolgt — durch den halben Wald.
So jedenfalls empfand er die Landung
des Hubschraubers im Zeltlager der Pfadfinderinnen und den späteren Heimflug.
Zufällig hatte der Hubschrauber dabei den Tiger vor sich hergetrieben.
Während der Helikopter stadtwärts flog,
war Napur unter dem schützenden Dach des Waldes vor ihm geflohen. Eine
Hetzjagd. Sie hatte ihn überfordert, denn seine Ausdauer war begrenzt. Er hatte
nur im Käfig gelebt, zwar einen tiefen Brustkorb und gewaltige Muskeln
entwickelt, aber keine Gelegenheit gehabt, seine Ausdauer zu trainieren.
Erschöpfung ließ ihn taumeln. Doch er
jagte weiter. Hunger wühlte in seinen Eingeweiden, und der Schlund schien
ausgetrocknet.
Eine vage Sehnsucht erwachte in ihm.
Sie betraf sein bisheriges Leben: die Ruhe und Geborgenheit in seinem Käfig.
Die Liebkosungen der Menschen, die er von kleinauf kannte. Das regelmäßige
Fressen, mit dem sie ihn versorgt hatten.
Verglichen damit war dieser Wald eine
Hölle.
Napur kannte kein Ziel. Aber er behielt
die einmal eingeschlagene Richtung bei. Der Hubschrauber hatte sie bestimmt.
Ohne es zu wissen, näherte Napur sich dem Waldrand in der Nähe von Lerchenau.
Er mied Wege und Forststraße. Kein
Wanderer begegnete ihm. Auch die Streifenwagen, die noch immer im Wald
unterwegs waren, kreuzten nicht seine Route.
Alles Wild floh vor ihm. Eichelhäher,
die Polizisten des Waldes, warnten. Napur stieß auf Fährten, aber die Beute war
weit.
Dann hatte er Glück. In einer Dickung
fand er ein verendetes Reh. Mit Heißhunger stürzte er sich auf den Kadaver.
Sein gewaltiges Gebiß zermalmte Knochen. Er fraß sich satt.
Anschließend leckte er sich die Tatzen
und ruhte eine Weile auf dem modrigen Boden
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