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In den Ruinen von Paris

In den Ruinen von Paris

Titel: In den Ruinen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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geballte Faust in den Nacken, als sie stolperte. Noch ehe das Weibchen zu Boden fiel, wirbelte er herum, um auch das Junge zu töten. Aber er tat .es nicht. Er konnte es nicht. Er begriff plötzlich, warum die Eingeborene zurückgekommen war. Sie mußte gewußt haben, daß sie nicht die geringste Chance hatte, einen Gegner wie ihn zu besiegen; und trotzdem hatte sie es versucht. Langsam, als kämpfe er gegen unsichtbare stählerne Ketten, ließ Kyle seine zum tödlichen Schlag erhobenen Arme sinken und blickte das Eingeborenenjunge an. Das Mädchen lag auf dem Rücken; es rührte sich nicht, sondern starrte ihn nur aus angstvoll aufgerissenen, dunklen Augen an. Langsam ließ sich Kyle auf die Knie sinken und streckte die Hand nach dem Mädchen aus; fast ohne zu wissen, warum er es eigentlich tat, aber doch mit dem sicheren Gefühl, daß es richtig war. Kyle spürte das Entsetzen, das dieses kleine Wesen empfand; ein Entsetzen, das nur seiner Erscheinung galt, nicht dem, was er mit ihm tun würde. Er hatte plötzlich das verrückte Gefühl, daß das Mädchen den Tod eher als Erlösung betrachtete.  Wer war er, daß dieses Mädchen den Tod weniger fürchtete als ihn?!  »Hab ... hab keine Angst, Kleines«, sagte Kyle. Seine Stimme klang heiser; er war es nicht gewohnt, solche Worte zu sprechen. »Ich tue dir nichts.« Das Gesicht des Kindes zeigte keine Regung. Kyle begriff, daß es seine Worte gar nicht gehört hatte oder daß sie ihm nichts bedeuten. Er hörte Schritte, dann fiel der dünne, harte Schatten der Dienerkreatur über das Gesicht des Mädchens, und endlich löste es seinen Blick von Kyle. Es sah auf, und die seltsam gestaltlose Furcht in seinem Blick machte Abscheu und Haß Platz. Auch Kyle drehte den Kopf und blickte die Dienerkreatur an. Die gigantische Ameise schaute aus ihren starren Augen auf ihn und das Mädchen herab. » Warum zögerst du? « fragte die Computerstimme des Übersetzungsgerätes. » Eliminiere sie. « Kyle sah wieder das Mädchen an. Es hatte leise zu weinen begonnen, aber er wußte, daß die Tränen, die über sein schmutziges Gesicht liefen, nicht der Angst vor seinem eigenen Tod galten, sondern dem Anblick der beiden furchterregenden Gestalten. Eine kalte, unmenschlich starke Hand schien nach seinem Herzen zu greifen und es langsam zusammenzudrücken. Er war wieder fünf Jahre alt, er hielt wieder seinen sterbenden Freund in den Armen, und zum ersten und letzten Mal in seinem Leben als Megakrieger wußte er, was es hieß, um einen Menschen zu trauern. » Eliminiere sie! « verlangte die Dienerkreatur noch einmal. Kyle blickte das Mädchen eine weitere Sekunde an, dann stand er ganz ruhig auf, drehte sich herum und tötete die Dienerkreatur mit einer einzigen blitzartigen Bewegung.
     
    *
     
    Vom Dach des Louvre aus bot die Stadt ein Bild, das trotz all der Verwüstung und Zerstörung, trotz der grünvioletten, wuchernden Pflanzenmasse den Betrachter noch immer faszinieren mußte. Es war, dachte Charity, als wäre die alte Würde der Stadt noch irgendwie vorhanden; sie hatten die Gebäude und Straßen zerstört, sie hatten jede Spur menschlichen Lebens und menschlichen Schaffens aus den Bereich jenseits der Seine getilgt, aber was sie nicht hatten beseitigen können, das war der Geist, der diese Stadt erschaffen hatte. Paris war noch immer ein Sinnbild für alles, wofür Menschen jemals gekämpft hatten: Freiheit, Leben, Gerechtigkeit ... Sie setzte den Feldstecher ab und betrachtete Barler und Skudder, die neben ihr standen. Sie fragte sich, was diese beiden beim Anblick der verwüsteten Stadt empfanden.  wahrscheinlich nichts, dachte sie niedergeschlagen. Vielleicht hatte Gurk recht. Vielleicht war Freiheit nur eine Illusion, für die sich nicht zu sterben lohnte. Sie verscheuchte den Gedanken und sah für einige weitere Augenblicke zur Silhouette des Eiffelturms hinüber. Wieder glaubte sie für einen Moment, eine Bewegung zu erkennen; ein unscharfes, dunkles Glitzern hoch unter seiner Spitze. »Sie haben sie gesehen?« fragte Barler, als sie den Feldstecher senkte. Charity sah ihn verwirrt an. »Wen?« »Die Königin.« »Nein«, antwortete Charity automatisch. »Ich ... Wovon sprechen Sie überhaupt?« »Von der Königin«, wiederholte Barler. Er lächelte verzeihend, als er ihren fragenden Gesichtsausdruck bemerkte. »Was glauben Sie, woher all diese kleinen Monster kommen, die Ihre Freunde und Sie fast zum Frühstück verspeist hätten?« Im

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