In Den Schatten Lauert Der Tod -1-
Sie zurückkommen würden.«
Tonia warf Erin einen neugierigen Seitenblick zu. »Davongelaufen? Was soll das denn heißen?«
»Das ist eine lange Geschichte«, wiegelte Erin ab. »Es hatte jedoch nichts mit Mr Mueller zu tun. Er hätte sich keine Sorgen machen müssen.«
»Ich verstehe.« Tamaras makellos geschminktes Gesicht war blass und angespannt. In ihren smaragdgrünen Augen lag ein gehetzter Ausdruck dunkler Vorahnung.
Aber vielleicht lag diese Wahrnehmung auch an Erins eigener düsterer Stimmung, die dafür sorgte, dass sie auch noch die unschuldigste Sache als böses Vorzeichen deutete. Das flaue Gefühl in ihrem Bauch wurde stärker. Flirrend meldete sich die Panik zurück, die sie schon am Vortag überwältigt hatte, aber sie kämpfte mit aller Macht dagegen an. Sie würde diesen Job zu Ende bringen, das Kapitel mit Anstand schließen – mehr würde sie sich nicht abverlangen.
Beruflicher Selbstmord oder nicht, sobald sie diesen Bericht fertiggestellt hätte, würde sie höflich, aber bestimmt jede weitere Zusammenarbeit mit Claude Mueller ablehnen. Sie würde ihn an andere Experten verweisen, von denen sich jeder Einzelne ein Bein ausreißen würde, um als sein Berater fungieren zu dürfen. Sie selbst würde unterdessen Maschineschreiben lernen und sich wieder bei der Zeitarbeitsfirma als Sekretärin oder Rechtsanwaltsgehilfin bewerben. Und selbst wenn es ihren Tod bedeutete, würde sie darüber von Herzen froh sein. Hurra! Was für eine Freude! Jeder erschafft sich selbst seine eigene Realität, rief sie sich in Erinnerung.
Es sei denn, man erlaubt anderen, sie für einen zu erschaffen . Der Gedanke huschte wie der Schatten einer Fledermaus durch ihren Kopf, fast zu schnell, um danach zu greifen.
Gott, wie sehr sie dieses Haus hasste! Es schien ihr beständig kleine Stromschläge zu versetzen, die gerade stark genug waren, dass ihr übel und schwindlig wurde, aber ihre Entschlossenheit allein genügte nicht, um sie abzuwehren. Wie Aschenputtel, die vom Ball flüchtete, als die Uhr Mitternacht schlug, war sie gestern Abend in haltloser Panik davongestürzt. Und nun war sie zurückgekommen, setzte einen Fuß vor den anderen, während zwischen ihren Schulterblättern kalter Schweiß nach unten rann, weil sie versuchte, sich wie eine Erwachsene zu benehmen.
Tamara blieb vor der Tür zum Salon stehen. Die schwere, verschnörkelte Tür erinnerte Erin an das Maul einer monströsen Kreatur, das weit aufklaffte, um sie mit Haut und Haar zu verschlingen. Sie kämpfte diese Attacke kindischer hysterischer Angst nieder und spannte ihre Bauchmuskeln an, bis sie hart wie Stahl waren.
Wie schon am Vortag blickte Mueller in einer gedankenversunkenen aristokratischen Pose aus dem Fenster. Er drehte sich um und kam lächelnd auf sie zu, um sie zu begrüßen.
»Ah, ausgezeichnet. Ich war mir nicht sicher, ob ich Sie wiedersehen würde«, sagte er. »Es tut mir leid, falls ich Sie gestern verärgert habe. Sie wirken blass.«
»Danke, es geht mir gut.«
Siehst du? Höflich, angenehm, nichts stört an dem Bild. Novak ist tot, irgendwo auf der anderen Seite dieses Planeten. Die Sache hier ist vollkommen unverdächtig. Ich werde mich nicht von der Paranoia eines anderen beherrschen lassen .
All das zuckte blitzschnell durch ihren Kopf. »Das Ganze tut mir sehr leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
Seine Zähne wirkten furchtbar scharf, wenn er lächelte. »Und wer ist Ihre zauberhafte Begleitung?«
»Tonia Vasquez. Schön, Sie kennenzulernen«, stellte Tonia sich selbst vor, als Erin zu lange zögerte. »Ich bin heute Erins Schatten. Hoffentlich störe ich nicht?«
»Ganz und gar nicht. Ms Riggs’ Freunde sind mir stets willkommen. Man kann sich gar nicht mit genug schönen Frauen umgeben.«
»Das kommt auf die Umstände an«, schnurrte Tonia.
Also hatte Tonia vor, mit ihm zu flirten. Gut. Es verursachte Erin eine Gänsehaut, aber wenn es seine Aufmerksamkeit von ihrer eigenen jammervollen Person ablenkte, würde sie vor Dankbarkeit weinen. Das hier würde bald überstanden sein, und dann konnte sie sich endlich in ihr schäbiges Mauseloch im Kinsdale Arms verkriechen und im Dunkeln ihre Wunden lecken.
Auch wenn es möglicherweise unfair war, würde sie eine sehr lange Zeit vergehen lassen, ehe sie Tonia das nächste Mal anrufen würde. Wenn überhaupt.
»Können wir anfangen?« Ihre Stimme klang so scharf, dass Tonia und Mueller ihre neckische Unterhaltung unterbrachen und sie verblüfft
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