In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
nur Junkies, so wie ich nun einer war. Bei mir war es Alkohol, bei ihnen die Berührung, die Unterwerfung, die Selbstwahrnehmung. Die Gewürze jeder Gewalt. Sie schienen zwei oder drei zu sein. Ich dachte wieder an Evelyn. Als ich sie fragte, was sie am Spanking anmacht, sagte sie: »Ich fühle mich nicht betäubt. Es macht mich vollkommen wach.«
Sie hatten nicht die Absicht, mich zu töten. Sie hatten auch keine Wut, die sie unkontrolliert und rasend machte. Sie mussten einfach nur Dampf ablassen, und ich war zur Stelle. Ich, der Untermensch. Vielleicht noch schlimmer als ein Jude, denn für sie war ich ein Deutscher, der sich gehen ließ, der stinkend und besoffen durch die Gegend taumelte. Ein öffentliches Ärgernis. Ein wandelnder Schandfleck, der jedem den Magen umdrehte. Damals dachte ich: sie sind wie Tiere, wie Fleischfresser, die nun ein vegetarisches Opfer fanden und damit spielten. Heute bedauere ich sie viel mehr. Es ist keine leichte Last, die Aufgabe auf den Schultern zu tragen, ein Schwachkopf in einer olivgrünen Bomberjacke zu sein und so sein Tagewerk zu erfüllen. Jemand muss die Drecksarbeit machen. Ein bestimmter Teil der Welt besteht aus neurotischen Idioten und Spinnern, deren einzige Aufgabe darin besteht, unsere Lücken im Schicksal zu schließen. Judas und Pilatus mögen einen sehr kleinen Fanclub haben — aber macht sie das minder notwendig? Diese Menschen mögen wie Ungeziefer erscheinen. Aber sie testen uns jeden Tag. Sie prüfen unseren Hass, der uns vergiftet. Sie treten in unser Leben, mit der Absicht, unsere Zähne auszuschlagen — und damit zu prüfen, ob wir eher meinen, die Welt sei nicht in Ordnung, aber wir dagegen schon, oder ob wir denken, dass die Welt durchaus in Ordnung ist und wir es nicht sind. Es ist unser gutes Recht, vor dieser Prüfung wegzulaufen. Aber auf die eine oder andere Art wird sie unvermeidlich bleiben. Skinheads, Autounfälle und HIV. Die Welt ist in ständiger Bewegung. Alles fließt. Und nur die Schläfer unter uns meinen, sie hätten damit nichts zu tun.
Sie traten noch zehn Mal nach mir und liefen weg. Ich war der Star meines kleinen Clockwork Orange .
Es gab hier genug Passanten, doch niemand wollte sich mit mir beschäftigen. Ich hätte auch Angst gehabt, mir selbst eine Mundzu-Mund-Beatmung geben zu müssen. Apythia hatte wirklich die richtige Frage gestellt.
Doch nach einer Weile spürte ich eine Hand auf meinem Ellbogen.
Ich sah hoch und blickte in die Mandelaugen einer charmanten Asiatin. Ausgerechnet sie sollte nun bestraft werden mit dem unerträglichsten Gestank, den ein Mensch hergibt. Ich dachte an die Japanerin Satoko im Haus der Kraniche, die von Jürgen, meinem versoffenen Umzugshelfer angequatscht worden war. Als würde alles noch mal passieren, nur mit anderer Rollenverteilung. Jemand hat einmal zu mir gesagt: »Wenn du es schaffst, dich ganz ruhig zu verhalten und dabei sehr achtsam bist, kannst du es sehen. Sehen, wie sich alles um uns in Mustern verwebt und wie alles mindestens zweimal passiert.«
Die Japanerin trug ein weißes Sommerkleid und eine schwarze Schirmmütze aus Vinyl. Um ihren Hals hing eine Lederschlaufe mit einem Fotoapparat. Während sie mich hochzog, bemerkte ich ihre zierlichen Füße in sauberen weißen Schuhen. Um ihren Fußknöchel hing ein keckes Kettchen. Die Vertreterin der geruchsempfindlichsten Nation auf der Erde zog mich tapfer hoch. Ich stand wankend vor ihr und röchelte ein vollkommen debil anmutendes »Domo arigato«.
Wann immer sie über ihre Reise nach Europa nachdenken wird, es werden wohl diese Bilder in ihrem Kopf auftauchen. Hässliche Männer, die einen genauso hässlichen Kerl auf der Straße verprügeln.
Sie rückte ihren Fotoapparat zurecht und brabbelte etwas, das ich nicht verstand. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln und eilte davon, als wäre es ihr peinlich, die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt zu haben.
Die Begebenheit war irgendwie typisch für mein Leben. Diese Dinge begegnen mir wie Löwenzahnsamen, die vom Wind an mir vorbeigetragen werden.
Ich schleppte mich erst mal in den Eingang eines Hauses, um dort auszuruhen. Ich fühlte mich, als hätte ich den Dritten Weltkrieg überlebt. Die Schläge hatten mir nicht sehr gut getan. Meine Lippe blutete, und mein ohnehin recht lädierter Magen tat noch mehr weh. Wenigstens drangen die zahlreichen blauen Flecken und Prellungen in diesem tauben Körper kaum zum Gehirn durch.
Als ich mich dabei ertappte, wie ich die flache
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