In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
ältere asiatische Männer in teuren Anzügen und Kaschmirmänteln stiegen aus. Ihr Atem war in der frostigen Nacht sichtbar und reflektierte sich silbern im kühlen Licht der Straßenlampen. Es wirkte wie eine Stippvisite. Die Begrüßung war kurz und so kühl wie das Wetter. Nach westlichem Händeschütteln folgte die geheimnisvolle Delegation dem ungleichen Ehepaar ins Haus, während drei Gestalten bei den Autos blieben. Sie sahen aus, wie Gangster in einem asiatischen Ballerfilm.
Am Tag meines Einzugs in die Zelle hatte ich genug Gelegenheit, um zu erkennen, dass ich ein Narr war, der sich aufmachte, vierundzwanzig Quadratmeter mit Zweitausend Comicheften zu füllen, um dann ein Bett danebenzustellen.
Ich behandelte meine Sammlung wie geheime Spionageunterlagen, denn Frau Mahr hätte sicherlich ablehnend reagiert auf einen Menschen, der achtzig Prozent seines Wohnraums mit staubempfänglichen Schinken zu füllen versucht, die sich dann deckenhoch in billigen Regalen stapeln. Es ist zwar nicht verboten, Hefte und Bücher zu sammeln, aber ich war mir in dieser Situation des etwas neurotischen Eindrucks bewusst, den meine Ausstattung erzeugen könnte. Ich hatte vierundzwanzig Quadratmeter gemietet und war gerade dabei, über zwanzig davon mit billigen Regalen zu füllen.
Meine Geheimagenten, rekrutiert bei der Tagelöhner-Börse des Arbeitsamtes, kämpften sich Stockwerk für Stockwerk hoch. Ich hoffte, den Mahrs nicht zu begegnen. Die Kisten stapelten sich auf dem schmalen Gang um meine Wohnungstür. Sie wirkten zehnmal so groß wie der Kubikraum meines Apartments. So viel Wahnsinn beschämte mich. Darum schleifte ich eiligst eine Kiste nach der anderen hinein in die Wohnung. Bald standen Kisten in der Dusche, auf dem Balkon, überall. Der Rebus begann erst danach, wenn alle Kisten drin waren und ich ihren Inhalt in eine Art Knast-Wohnambiente verwandeln musste. Geben Sie bei Wikipedia das Wort sokoban ein, dann verstehen Sie, was ich meine. Ich lebe immer so. Die niedrigsten Mieten bedeuten mieseste Wohnungen.
Meine drei Helfer waren Studenten. Jürgen wirkte nicht gerade wie ein Student. Er musste um die fünfzig sein und hatte heute anscheinend noch keinen Drink. Seine Arme zitterten, und sein unrasiertes Gesicht erinnerte an Steve McQueen in seiner Rolle als Papillon. Mehr am Ende des Films. In einer kurzen Pause erzählte er mir keuchend, er hätte mal viele Semester Musik studiert. Chopin und Mussorgsky seien ihm besonders ans Herz gewachsen.
»Hören Sie?«, er hielt den Finger in der Luft. Irgendwo im Haus schlug jemand in die Tasten eines Klaviers. »Das sind die Balladen von Chopin. Die ganze Zeit schon...«
Zehn Minuten später belästigte er Satoko, die mit einem Stapel Noten an ihm vorbei lief und verstört die Nase rümpfte.
»Die Chromatische Fantasie!« schrie er. »Wunderbar! Ta-da-dida-da-di-dam-dam...« stimmte er an. Das Mädchen, zwei Köpfe kleiner als er, beobachtete ihn mit Furcht und drängte sich an ihm vorbei. Schon beim Händeschütteln fiel mir sein ungünstiger Körpergeruch auf.
Der andere hieß Ahmed. Er war schweigsam und etwas schwach auf den Beinen. Sein langes schmales Gesicht war blass und asketisch. Er hielt seit drei Wochen den Ramadan, erzählte er mir.
Ralf, der dritte im Bunde, schuftete dagegen wie ein Tier, als wollte er die Mängel der anderen wettmachen. Er riss an den Kartons, drückte sie beim Ablegen weit von sich weg und ich erwartete, dass er mir hier heute sterben würde. Er sparte Geld für ein neues Auto, doch einen Führerschein hatte er noch nicht. Den alten verlor er in jenem Augenblick, als er stockbetrunken ungefähr acht Schrebergärten am Westpark durchquerte und schließlich mit seinem VW Golf im Schlafzimmer einer Holzhütte stehenblieb.
»Sind das alles Bücher?« fragte er, um eine kleine Pause herauszuschinden.
»Comics«, hechle ich, während ich einen der Kartons vor meiner neuen Haustür abstelle.
Ich setzte mich auf eine der Kisten und beobachtete zwischen den Metallstäben des Geländers Ahmed, der ein Stockwerk tiefer ächzend mit einem Karton kämpfte, der ihm aus den Händen rutschte. Es fiel mir ein, dass gar nicht Ramadan war. Ich wusste das, weil in meinem Lieblings-Kebab-Laden, gleich neben dem Poster von Ferdi Tayfur und unter dem Portrait von Mustafa Kemal, ein islamischer Kalender an der Wand hing. Ich hätte mir gerne mal Ahmeds Unterarme ansehen, aber er trug einen langen, grauen Pullover. Dopeheads haben eine Tendenz,
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