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In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

Titel: In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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vercheckte. Das harmonische Zusammenleben des Gemeinwesens war eine Lüge, denn allein diese drei Bevölkerungsgruppen hassten sich gegenseitig wie die Pest. Es waren alles in Wirklichkeit nur Schichten, die in derselben Stadt übereinander gelegt wurden und kaum Schnittstellen besaßen (außer die Bankiers brauchten etwas Koks von den Afrikanern, was aber nicht zu einer gegenseitigen Wertschätzung beitrug).
    Ich kehrte nach Hause zurück und erinnerte mich an die Frau in der Wohnung nebenan. Ich nahm das Kartonrohr einer leeren Klopapierrolle und presste es gegen die Wand meines Schlafzimmers. Ich lauschte durch das Röhrchen, im vollen Bewusstsein, dass ich abgefuckter war, als ich es mir bereits eingestand. Doch alles was ich hörte, mutete wie das Rauschen einer Meeresmuschel an. Erst am Nachmittag, als ich meinem recht armseligen Voyeurismus — oder viel mehr Audierismus — ein da capo gab, hörte ich befremdliche, gedämpfte Geräusche, die wie Peitschenschläge klangen.
    Noch so eine? Es fiel mir schwer das zu fassen. Diese Stadt... Doch bald sollte ich meinen Irrtum erkennen.
    Verwundert ging ich abends in die Stadt, um in einer Pizzeria Pasta zu essen. Auf dem Rückweg zu meiner Wohnung passierten mich die Ereignisse wie ein landendes Flugzeug.
    Vielleicht zweihundert Meter von der Haustür entfernt sah ich die beiden Männer. Sie trugen kurze Motorradjacken und unterhielten sich. Einer von ihnen rauchte eine Zigarette. Sie verfolgten mich nicht etwa — im Gegenteil, ich kam auf sie zu. Als ich an ihnen vorbeikam, rührte sich da etwas in meinem Gehirn. Ein Gedanke, der erst mal diffus und unklar war — aber intensiv. Da war irgendein Detail. Etwas, das nicht stimmte. Oder im Gegenteil, etwas das zu sehr stimmte. Es dauerte jedoch noch weitere zwanzig Sekunden bevor ich es begriff. Einer der beiden Männer trug feinrasierte Bartkotletten. Keine buschigen Teppiche, sondern säuberliche, dünne Striche, die wie dunkle Rinnsale entlang seines Kiefers verliefen. Doch das verstörende war seine Hand, die ich im Vorbeigehen im Augenwinkel sah. Der kleine Finger war vermutlich amputiert und durch eine metallische kleine Prothese ersetzt. Ich hatte diese Hand bereits gesehen, jedoch nie bewusst daran gedacht. Tief in meinem Gedächtnis war ein Bild gespeichert und wartete auf die Erweckung durch ein neues Bild desselben Inhalts. Das Haus der Kraniche. Ich erinnerte mich plötzlich an einen der Söldner, der unten in der Halle des Hauptquartiers, unweit von Hausmeister Mahr stand, mit einer Maschinenpistole in den Händen. Sein Gesicht war mir nicht bekannt — vielleicht hatte er damals zu sehr im Schatten gestanden. Aber ich erinnerte mich, dass seine linke Hand eine Prothese trug.
    Ich wollte gar nicht sehen, ob sie mir folgten. Es bestand eine gewisse Chance, dass diese Männer nicht wussten, wo ich lebte, und jene Straßenecke, an der sie mich abfingen, der äußerste Punkt war, bis zu dem sie mich in den vergangen Tagen bespitzelt hatten. Nun erwarteten sie wohl, dass ich sie zu meiner Wohnung führte, damit sie mich dort erledigen konnten. Ich hatte nicht vor, dem zu entsprechen.
    Mit den Händen in den Taschen überquerte ich die Straße und schlug sofort eine andere Richtung ein. Ich wollte sie lieber auf die Reeperbahn locken, denn dort befanden sich unzählige Zeugen für alles, was geschehen mochte.
    Als ich mich mit einem möglichst unauffälligen Kopfschwung umsah, stellte ich jedoch fest, dass mir niemand folgte. Ich stand allein in einer dunklen Seitenstraße, an deren Ende die grellen Lichter von St. Pauli pulsierten.
    Doch dann quietschten plötzlich Reifen und ein Paar runder Scheinwerfer raste um die Ecke. Zu jenem Zeitpunkt, als die Gesamtheit meines Körpers begriff, dass es nun an der Zeit war, zu rennen, bremste der Wagen nur drei Meter vor mir. Die Türen waren aufgerissen und der Mann mit dem peniblen Bart sprang heraus. Der Fahrer folgte ihm. Ich streckte dem ersten Angreifer meine Hände entgegen, was eine außerordentlich schwache Abwehr darstellte. Dies wurde sofort mit einem trockenen, kurzen und über alle Maße eingeübt wirkenden Schlag auf meinen Brustkorb belohnt. Die Luft schoss aus meinen Lungen. Ich schlug im nächsten Moment auf dem Steinpflaster auf und versuchte panisch einzuatmen. Es gelang mir nicht. Mein Hals und meine Brust bebten bei dem Versuch, die Blockade in meinen Lungen zu lösen und einen Schluck Sauerstoff zu fassen. Während es mir endlich gelang einen

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