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In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

In den Spiegeln - Teil 3 - Aion

Titel: In den Spiegeln - Teil 3 - Aion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ales Pickar
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verharrte schließlich schwebend an seiner alten Stelle. Ich trat zurück und setzte mich wieder in den Kreis. Die drei Kristalle glühten noch leicht, und als ich Platz nahm, verstärkte sich ihr Leuchten sofort wieder.
    »Was soll´s...«, brummte ich vor mich. »Das wird sowieso nicht mehr normal...«
    Ich steckte die seltsame Knolle in meinen Mund, zerbiss sie mit schmerzenden Zähnen und schluckte die bittere Substanz hinunter.

Fragment: Engelsnahrung
     
    Die Explosion schien alle meine Nervenbahnen gleichzeitig zu erfassen. Ich konnte entfernt spüren, dass mein Atem schneller wurde und meine Beine begonnen hatten, unkontrollierbar zu zucken. Der Diamant, der vor meinen Augen in tausend Muster und Facetten zerrissen wurde, zog mich in sich hinein, bis ich nur noch von Lichtstrukturen und komplexer Geometrie umgeben war.
    Mein Körper fühlte sich fern und unwirklich an. Die Lichter hingegen spürte ich als die einzige Wirklichkeit.
    Ich wusste, ich war in Gottes Gewächshaus.
    Plötzlich empfand ich klar und deutlich die Gegenwart jener Kraft, die mit einem bärtigen Mann auf der Wolke darzustellen, infantilem Schwachsinn gleichkam. Und dann begann sich alles zu strecken und zu zerreißen und ich begriff, was Schorm mit Hyperraum meinte. Es war die ursprüngliche Welt der höheren Wesen, die wir Menschen eines Tages mit unserem Geist und unserer Abstraktion in unsere eigene Dimension evozierten — als Engel und Dämonen. Sie besaßen keine Form und keine Zeit hier — sie waren wie Lichtpunkte, die mit einer schnellen Kamera in unzähligen Momentaufnahmen fotografiert wurden. Sie bewegten sich und standen still zugleich. Ein endloses, lebhaftes Daumenkino. Ein Teil der Punkte und Lichterketten schien die Bewegungen unentwegt zu verlangsamen und in einem spiralförmigen Gebilde erstarren zu lassen, während die andere Hälfte der Punkte das Gebilde beschleunigte, zerriss und zerstreute. Natürlich war es nicht das, was da war: das Ding an sich. Es war die einzige Art, in der meine begrenzte Gedanklichkeit imstande war, diese Dinge abzubilden.
    Die Lichter begannen sich zu verteilen, wie durch eine Zauberhand gelenkt. Links horteten sich die dynamischen, beweglichen Punkte, die roten und feuriggelben, während rechts von mir die blassen, ruhigen Lichter in einer seltsamen Ruhe schwebten und beinahe unbewegt drifteten.
    Es war als bestünde nun ein Keil oder Hymen zwischen diesen beiden Daseinsformen.
    Bald beruhigten sich die Farben um mich und gaben einem intensiven Schwarz nach, in dem ich haltlos zu schweben schien. Beide Lichtergruppen verschwanden. Sie wichen einer vollständigen Finsternis. Blickte ich in eine unendliche Weite, in der es kein Licht gab, oder wurde meine Sicht so sehr eingeengt, dass es nichts mehr zu sehen gab? War etwa eine Welt ohne Licht gar keine Welt?
    Es fühlte sich an wie die Zeit zwischen dem Stimmen der Instrumente im Orchestergraben und dem ersten Schlag des Taktstocks. Ominöse Stille. Unbestimmte Zeit.
    Dann geschah mit einem stummen Puls all das, was den Unterschied zwischen Nichtsein und Sein ausmachte. Ein weißes Aufleuchten, das gänzlich geräuschlos die Welt erhellte. War ich Zeuge des Urknalls? Es war keine singuläre Explosion, die aus einem zentralen Punkt das Universum auseinander riss. Es erschien mir viel mehr wie eine Art Fluktuation, die bereit in einem vorhandenen Medium an Tausenden oder Millionen Hyperorten stattfand. Gleichzeitig und doch nicht ganz gleichzeitig.
    Für eine kurze Zeit war alles Licht. Ein Licht, das in Jahrmilliarden auch mein Gesicht berühren wird, irgendwo an einem Ort fern von hier.
    Das Plasma um mich herum kühlte eilig ab und alles Sichtbare verdunkelte sich rasch. Vor mir formte sich ein leuchtender Punkt, der in drei Richtungen zu Linien auseinander floss. Muster entfalteten sich aus dem Punkt und mit ihnen erwuchs mein Begreifen. Ich begann die Welt zu verstehen. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Die Funktionalität der Welt, ihre Beschaffenheit, ihre Zusammenhänge. Ich sah, dass es drei Welten gab, die sich ergänzten und gegenseitig in seltsamer Weise überlagerten.
    Die gedankliche Welt: eine Welt des reinen Geistes, ohne Zeit, nicht greifbar physikalisch, doch voller Potential. Eine unfassbare Kompression der Möglichkeiten, bereit in einem Geysir der Gedanken und Ideen hinaus, in die greifbare Welt zu schießen.
    Das Jenseits: die Welt der Seelen — eine Zone erfüllt mit Zeit ohne Raum. Und doch voller realer Erfahrung.

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