In der Box: Wie CrossFit® das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh (German Edition)
war mir klar, dass ich beobachtet wurde. Nicht nur Starrett blickte mich gespannt an, sondern auch ein Kampfrichter und zahlreiche Teilnehmer der CrossFit Open, einschließlich meiner Freundin Gretchen, die es in die Finalrunde geschafft hatte.
Ich hob die Hantel an. Die Steigerung von 34 auf 61 kg war ein Schock. Als Anfänger wird einem beigebracht, die Stange langsam vom Boden zu heben, das Körpergewicht muss dabei auf den Fersen liegen, und sobald die Stange auf Kniehöhe ist, führt man einen Sprung aus – man stößt die Hüften explosiv nach oben, wodurch die Hantel so weit hochgerissen wird, dass man sich (im Idealfall) von unten gegen die Hantel stemmen und sich in einer tiefen Kniebeuge unter ihr platzieren kann. Im Idealfall befindet sich die Langhantel dann direkt über dem Kopf, die Ellbogen sind durchgedrückt und man richtet sich auf, bis die Knie gestreckt sind und man aufrecht steht, die Hantel völlig unter Kontrolle hat und alle Knochen feinsäuberlich unter der Last angeordnet sind. Im Idealfall eben. Bis ich selbst damit anfing, diese Art von Krafttraining zu praktizieren, konnte ich dem Olympischen Gewichtheben nie etwas abgewinnen. Inzwischen weiß ich, dass die besten Gewichtheber Koordination, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Kraft miteinander kombinieren müssen, um eine fließende, harmonische Bewegung zustande zu bringen. Früher dachte ich, dass es beim Gewichtheben nur um rohe Gewalt gehe. Dem ist aber nicht so.
Ich sprang und die Hantel hob sich über das Becken, etwa bis auf Höhe des Brustbeins. Dann siegte die Schwerkraft und die Langhantel knallte mit großem Getöse auf den Boden. Die Erschütterung durch das gewaltige Gewicht zusammen mit der Erkenntnis, dass ich soeben völlig versagt und nicht einmal eine Wiederholung geschafft hatte, verschaffte mir einen gehörigen Adrenalinschub. Ich stampfte mit beiden Beinen wütend auf und brüllte: »Scheiße!«
Dieser Adrenalinschub hatte sowohl etwas Negatives als auch etwas Positives. Zum einen war ich fest entschlossen, es weiter zu versuchen, und wenn auch nur, um meinem Ärger Luft zu machen. Zum anderen sieht man in so einer Situation schnell aus wie ein Golfer, der versucht, einen im Sand versunkenen Ball zu schlagen. In diesem kleinen Wutanfall aber liegt ein Teil des Geheimnisses, weshalb CrossFit in den letzten sieben Jahren so starken Zulauf bekommen hat: Es setzt ganz bewusst auf Konkurrenzdenken – gegen andere und gegen sich selbst –, um ungeahnte Kräfte zu mobilisieren und hohe Belastungen zu bewältigen.
Nach drei weiteren Versuchen und drei wortreichen Wutanfällen sagte Starrett in ruhigem Tonfall: »So wird das nichts. Wir brauchen einen neuen Plan.« In den folgenden Minuten – begleitet von einigen weiteren erfolglosen Versuchen – gab mir Starrett einige enorm wertvolle Tipps. Ich sollte die Hände enger zusammennehmen. Die Brust in die richtige Position bringen. Den Bewegungsablauf im Kopf durchgehen, damit die Stange eine optimale Flugbahn beschrieb.
»Stell dir vor, du wirfst die Stange hoch, zuerst über und dann hinter den Kopf.« Er deutete auf den Highway, der hinter uns bzw. dem Parkplatz lag. »Wirf sie über den Highway.«
Die Stange stieg bei jedem nachfolgenden Versuch ein wenig höher, aber es gelang mir nach wie vor nicht, im entscheidenden Moment der Schwerkraft zu trotzen, und so knallte die Hantel immer wieder auf die Gummimatten. Von den zehn Minuten war nur noch eine angebrochene übrig. Starrett sprach wieder in seinem ruhigen Tonfall zu mir: »Wir schaffen das. Stell dir nur vor, du holst zu einem Wurf aus und musst die Stange dazu erst einmal bis hinter deinen Kopf hochwuchten. «
Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass Starrett mich bei den CF Open betreute. Ich hatte ihn vor 58 Wochen kennengelernt, kurz vor Weihnachten 2010, als ich mit meinen chronischen Knie- und Rückenschmerzen, die meiner Karriere als Läufer ein Ende gesetzt hatten, in sein Studio gehumpelt kam. Mit 47 Jahren hatte ich nicht nur die Freude am Laufen verloren, sondern sogar schon Probleme damit bekommen, den Tag schmerzfrei durchzustehen. Aus dem Bett steigen, mich auf einen Bürostuhl setzen, Treppen steigen – alles tat weh. Ein Begriff, an den ich früher nicht einmal im Traum gedacht hätte, geisterte mir nun schon seit einiger Zeit durch den Hinterkopf: Kniegelenksersatz.
Starrett war nicht nur ein in der CrossFit-Gemeinde hoch angesehener Trainer und Experte für funktionelles Training und
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