In der Box: Wie CrossFit® das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh (German Edition)
uns sich tatsächlich vorwärtsbewegte).
Als Estrada »Los!«, schrie, ruderten wir, als würden wir die Titanic vor dem Untergehen bewahren wollen. Estrada rief uns dabei Kommentare zu, die im Wesentlichen zwei Arten Informationen enthielten. Wenn er jemanden dabei ertappte, wie er sich seine Kräfte einteilte, forderte er von dieser Person mehr Einsatz. Und er gab Tipps zur Verbesserung unserer Technik. Er machte uns auf den häufigsten Fehler aufmerksam, Beine und Rumpf in der ersten Phase der Zugbewegung nicht genügend einzusetzen. Nach 150 Metern fängt einem das Gehirn an zu signalisieren, dass es nicht eben begeistert ist von der Arbeit, die der Körper da gerade verrichtet. Dann setzt die erste Welle des Unbehagens ein. Von da an wird es immer schlimmer. Nach 300 Metern versagen allmählich die Arme. Die Brust hebt und senkt sich schwer, man ringt nach Luft. Wichtige Körperpartien beginnen zu übersäuern. Hält man sich an Estradas Anweisungen, nimmt man die letzten 100 Meter nur noch verschwommen wahr. Irgendwann konnten wir gar nicht mehr anders, als das Tempo zu drosseln, und jeder von uns gab seltsame, leidende Töne von sich. Ich schaffte die 500 Meter in 1:34 Minuten. Nicht überragend. Aber es hatte sich viel länger angefühlt. Wir stolperten von den Rudergeräten, taumelten benommen umher oder fielen zu Boden. Ich bemerkte den Geschmack von Metall im Mund und hustete noch Stunden später. »CrossFit-Lunge« nennt man das. Ich werde Rudergeräte nie wieder unterschätzen.
Wegen solcher Momente wachte ich im Juli, August und September immer dann am Morgen unruhig auf, wenn an dem Tag ein CrossFit-Training anstand. Ich wusste, dass ich im Laufe des Tages meine Met-Con absolvieren würde, und ich wusste, jener Punkt würde wieder kommen (vielleicht nach drei Minuten in einem achtminütigen Workout), an dem ich mir selbst leidtat – weil die restlichen fünf Minuten zur Qual würden.
Aber ich ging trotzdem immer wieder hin. Vor allem weil ich anfing, die anderen Mitglieder besser kennenzulernen. Da war zum Beispiel Miriam, die meinen Namen flötete, sobald ich in die Box kam; Brian, ein Elitesoldat bei der Navy, der immer wieder zu Kampfeinsätzen nach Afghanistan ausrückte; Irene, die motivierende Leitfigur im Elysium, die mich zur Begrüßung immer umarmte; Sam mit seinen Converse-Halbschuhen und dem Toronado-T-Shirt; Briana, die immer dunkle Augenringe hatte, weil sie nachts arbeitete und tagsüber an der Universität studierte, ihre Workouts aber trotzdem mit wildem Ehrgeiz bewältigte; Karla und Dave, zwei unserer »Feuerspucker« (siehe Kapitel 8), die immer zeitig kamen, sich im Training niemals schonten und in ihrem Streben nach Bestleistungen danach auch als Letzte gingen. Und noch viele andere.
Die Ergebnisliste auf dem Whiteboard war sicherlich mit dafür verantwortlich, dass ich vier bis fünf Mal in der Woche zum Workout kam. Der Hauptgrund aber war, dass auch meine Kurskollegen kommen würden, deren Gesellschaft und Gemeinschaftssinn ich schätzte. Ich wusste, dass mich ein schlechtes Gewissen plagen würde, wenn ich nicht erschien, um mit ihnen gemeinsam das Training durchzustehen.
Aber ich machte auch Fortschritte, und zwar überraschenderweise in einem Bereich, den CrossFit als »Mobilität« bezeichnet. Meine Beweglichkeit hatte ich schon im Alter von 17 Jahren weitgehend eingebüßt. Nun stand ich kurz davor, sie wiederzuerlangen, indem ich das tat, was Kelly Starrett, ein Guru der CrossFit-Bewegung, als »das Unsichtbare sichtbar machen« bezeichnet.
Beim CrossFit dreht sich alles um die Bewegung. Die meisten, die CrossFit nur dem Namen nach kennen, es selbst aber noch nicht ausprobiert haben, halten es für einen riskanten Sport, bei dem es einzig und allein um die maximale Herzfrequenz geht und darum, sich immer wieder anzutreiben, bis man sich übergibt. Dieser Eindruck täuscht, denn die Grundlagen der Bewegungslehre und die akribische Perfektionierung von Bewegungsabläufen sind die eigentlichen Schwerpunkte, die einem im Training, in besonderen Kursen und Zertifizierungsprogrammen immer wieder eingebläut werden. Wie man etwas vom Boden aufhebt, es trägt und wieder ablegt, beispielsweise einen auf dem Boden liegenden Sack Getreide auf einen Anhänger verlädt, oder wie man einen Klimmzug macht, falls man jemals an einem Abgrund hängen sollte und sich hochziehen muss, um nicht in den sicheren Tod zu stürzen – darum geht es. Der Ansatz ist also weniger riskant als
Weitere Kostenlose Bücher