In der Brandung
noch das ganze Büro besudeln. Es wäre ein Riesenakt: Richter, Journalisten, Ermittlungen.
Ich bitte dich, nimm das Ding aus dem Mund. Ich bitte dich, ich bin Polizist geworden, weil ich Klarheit wollte, die Bösen dort, die Guten – wir – hier, auf dieser Seite. Klare, vorhersehbare Verhältnisse.
Da war sicher nicht vorgesehen, dass man um zwei Uhr früh einen Kollegen im Büro antraf, der gerade seinen Kopf mit einer Pistole sprengen wollte.
Roberto sah ihn mit aufrichtiger Neugier an und verspürte zugleich unwirkliche Ruhe und Beherrschung. Der andere hatte ein glattes Jungengesicht, sah aus wie höchstens fünfundzwanzig und machte den Eindruck, als würde er gleich anfangen zu weinen.
»Ich bitte dich, nimm sie raus und leg sie auf den Tisch.« Seine Stimme bebte.
Roberto überlegte, was er tun sollte. Den Abzug drücken oder die Pistole auf den Tisch legen? Ein paar Augenblicke verspürte er ein Gefühl von Allmacht und unendlich vielen Möglichkeiten. Er war Herrscher über Leben und Tod. Er konnte entscheiden.
Entscheiden.
Er zog den Lauf aus dem Mund und legte die Pistole auf den Tisch. Die Patrone steckte noch drin, und der Abzug war geladen. Eine winzige Bewegung, und das nicht mehr wieder Gutzumachende wäre geschehen.
»Darf ich näherkommen?«, fragte der junge Mann.
»Klar«, sagte Roberto mit einer gewissen Verwunderung. Weshalb sollte er das nicht dürfen? Er formulierte seine Gedanken in vollständigen Sätzen.
»Darf ich sie nehmen?«, fragte der junge Mann, als er vor ihm stand.
»Warte«, sagte Roberto. Er nahm die Pistole wieder in die Hand. Er sicherte sie, dann zog er das Magazin heraus und entnahm ihm die Patrone, die noch im Lauf steckte und dazu bestimmt gewesen war, durch sein Gehirn zu spritzen.
»Jetzt kannst du sie haben«, sagte er schließlich. »Vorsicht mit solchen Dingern. Da löst sich ganz leicht ein Schuss, und schon ist eine Tragödie passiert.«
Seine Stimme war neutral, ohne jede Spur von Ironie oder Sarkasmus. Sie klang nicht wie – sie war nicht – die Stimme eines Mannes, der noch vor einer Minute zwischen Leben und Tod geschwebt war.
Der junge Carabiniere nahm die Pistole, das Magazin und die entnommene Patrone. Dann erst verließ er das Zimmer und rief um Hilfe. Roberto blieb sitzen und wartete.
* * *
Der Kopf musste also beschäftigt werden. Auf diese Weise konnte man verhindern, dass er von den Gedanken vereinnahmt wurde.
Kochen war meist eine gute Ablenkung. Roberto machte sich ein Omelette. Wobei sich sein Augenmerk hauptsächlich auf die vorschriftsmäßige Durchführung des Rezepts richtete.
Er wartete, bis das Omelette abgekühlt war, und machte dann eine Flasche Wein auf.
Ein Schluck Wein, solange man es nicht übertrieb, war vereinbar mit den Medikamenten. Alle Beipackzettel wiesen zwar darauf hin, dass die Wirkung der Medikamente durch Alkohol verstärkt werden konnte, doch der Doktor hatte ihm ein Glas pro Tag erlaubt. Harte Sachen sollte er jedoch bis zum Ende der Therapie meiden.
Nach dem Essen machte er den Fernseher an. Eine weitere Regel war, dass man nicht zwischen den Kanälen herumschalten durfte: Man sollte sich konzentrieren, und sei es nur, dass man einen Film oder eine Fernsehsendung von Anfang bis Ende sah. Wenn nichts Interessantes kam, sollte man ausschalten und etwas anderes tun. Diese Möglichkeit war seit Einführung des Satellitenfernsehens immer unwahrscheinlicher geworden. Wenn es keine guten Filme oder Sendungen gab, waren da immer noch die Sportsendungen, allen voran Basketball, die NBA. An diesem Abend spielten die Los Angeles Lakers gegen die Minnesota Timberwolves. Und ein Junge, der in Südkalifornien aufgewachsen ist und Basketball nicht abgrundtief hasst, ist immer zumindest ein klein wenig ein Fan der Lakers. Basketball war ein perfekter Zeitvertreib für die Phase zwischen dem Abendessen und dem Moment, in dem der Körper die Vorstellung, schlafen zu gehen, akzeptierte.
Auf diese Weise vergingen weitere zwei Stunden. Die vertrauten, aufgeregten Stimmen der Sportreporter, die schnellen Wendungen des Spiels, die gelb-violetten Trikots und die schwarzen Muskeln, die Dunking-Würfe, Jack Nicholson wie immer am Fuß der Tribüne, die Werbespots für Taco Bell, Subway, Chrysler. Die Kiss-Cam, die sich küssenden Paaren ein paar Sekunden weltweiter Berühmtheit beschert.
Die Lakers gewannen mit zwanzig Punkten Vorsprung. Die Timberwolves waren nicht gerade die gefährlichsten Gegner in der NBA, aber
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