In der Brandung
würde?«
Neues Gelächter, kürzer, aber mit derselben Klangfarbe.
»Warum nicht? Wir sind immerhin Kollegen.«
»Kollegen?«
»Wir sind beide in psychiatrischer Behandlung, meine ich«, sagte sie lachend.
»Ich habe ein Buch für dich.«
»Ein Buch für mich?«
Roberto holte den Band aus der Tasche seines Trenchcoats. Er hatte beinahe die Wahrheit gesagt. Er war in eine Buchhandlung gegangen – er erwähnte nicht, dass diese Erfahrung für ihn ungewohnt war, dieser Aspekt war seiner Meinung nach zu vernachlässigen –, dort hatte er dieses Buch gesehen, das ihm ein Freund empfohlen hatte, er hatte es gelesen, gut gefunden und gedacht, dass es auch ihr gefallen könnte. Vermutlich noch besser als ihm. Falls sie es nicht schon längst kannte.
Beinahe die Wahrheit.
Sie sah ihn verwundert an.
»Ich habe davon gehört. Das wollte ich schon immer gern lesen, vielen Dank.« Mit diesen Worten streckte sie die Hand aus und nahm das Buch, das er ihr reichte. Nach einer kurzen Pause folgte dann, als könne sie sich nicht beherrschen: »Wie seltsam.«
»Was denn?«
»Du siehst nicht aus wie jemand … ich meine, du siehst nicht aus wie jemand, der solche Bücher liest. Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nichts Falsches sage, aber ich will damit sagen, dass du eher aussiehst wie jemand, der handelt, statt Bücher zu lesen. Mit anderen Worten: In einem Film würde ich mit dir die Rolle des Bullen besetzen, nicht die des Professors.«
Er lächelte wortlos. Sie sah ihn neugierig an. Er lächelte weiterhin, ohne etwas zu sagen.
»Du bist doch nicht etwa wirklich Polizist?«
»Ich bin Carabiniere.«
»Nein.«
»Doch.«
»Also, so was … Du bist der erste Carabiniere, den ich kenne.«
»Ich habe auch noch nie eine Schauspielerin kennengelernt.«
Sie verzog das Gesicht. Nur ganz kurz und vielleicht ohne es selbst zu merken. Sie schüttelte den Kopf, wie um einen lästigen Gedanken zu verscheuchen.
»Ich bin keine Schauspielerin mehr. Aber jetzt musst du los, sonst kommst du zu spät.«
»Hast du einen Schirm dabei?«
»Nein.«
»Dann bringe ich dich noch zum Auto.«
»Dann kommst du noch später.«
Er erwiderte nichts, trat aus dem Haustor und öffnete den Schirm, woraufhin er ihr bedeutete, ihm zu folgen. Der Regen prasselte noch heftiger als vorher. So heftig, dass so gut wie niemand auf der Straße war. Emma nahm seinen Arm, um unter dem schützenden Schirm zu bleiben. Die bloße Berührung ihrer Hand ließ ihn erschauern.
Ganz genau wie das Erschauern vor vielen Jahren – dachte er überrascht, als ihn diese weit zurückliegende Erinnerung überkam –, als ihm eine vierzehnjährige Mitschülerin im Autoscooter die Hand aufs Bein gelegt hatte.
Sie erreichten das Auto. Sie öffnete die Tür, während er den Schirm über sie hielt und dabei komplett nass wurde.
»Also vielen Dank, und hoffen wir, dass es nächsten Montag nicht regnet«, sagte sie.
»Ja, hoffen wir’s«, sagte er und kam sich vor wie ein Idiot.
»Also tschüss, Bulle.«
»Im Buch steht meine Telefonnummer. Für alle Fälle.«
»Ach, gut zu wissen.«
»Also, tschüss dann.«
»Tschüss.«
* * *
»Entschuldigung wegen letztem Mal.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Es war normal, dass Sie sich über mich geärgert haben.«
Roberto sah ihn verdutzt an.
»Warum?«
»Was glauben Sie, weshalb das passiert ist?«
»Ich weiß es nicht. In dem Moment war ich einfach sehr wütend auf Sie. Und im Nachhinein kam es mir absurd vor.«
»Das war normal.«
»Mir kommt das merkwürdig vor.«
»Ich stimme Ihnen zu, dass es merkwürdig erscheinen kann. Aber es ist ganz in Ordnung so.«
»Ich weiß gar nicht, worüber ich heute mit Ihnen sprechen soll.«
»Dann schweigen wir doch einfach ein wenig.«
14
So vergingen die fünfzig Minuten, mit viel Schweigen und wenigen Worten, in einer angespannten Atmosphäre. Wenn man ihn gefragt hätte, hätte Roberto nicht sagen können, ob er fröhlich oder traurig, gelassen oder unruhig, erregt oder deprimiert war; er hätte gar nichts über sich sagen können. Er nahm ein Gefühl wahr, für das er keinen Namen hatte. Er kam sich vor wie jemand, der sehr komplexe Gefühle ausdrücken will, das jedoch in einer Sprache tun muss, die er kaum beherrscht. Dieser Gedanke schien ihm den Sachverhalt ziemlich genau zu treffen, und er wollte dieser Idee weiter auf den Grund gehen, doch nach kurzer Zeit verlor er den Faden, und seine Gedanken entschwanden in eine andere Richtung.
Am Ende der
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