In der Falle - Leino, M: In der Falle
sich gleich noch eine zweite an. Allmählich beruhigt er sich und beginnt, über Alternativen nachzudenken. Es sind haargenau zwei: Entweder macht er Sundström weiter den Sklaven, oder er marschiert ins Zimmer des Gefängnisdirektors und packt aus. Danach muss er es nur noch Annika beichten, bevor die Sache an die Öffentlichkeit kommt. Und wie wird sie es aufnehmen? Wird sie ihn für einen Versager halten, der keinen Arsch in der Hose hat und unfähig ist, für seine Familie zu sorgen? Und was ist mit Teemu und Ville? Die Jungs sind in dem Alter, wo es in der Schule gnadenlos zugeht. Mit so einem Vater würde man sie aufziehen ohne Ende. Man würde ihnen die Hucke vollhauen, und sie würden zum Gespött der ganzen Schule – wie er es damals gewesen ist. Über dreißig Jahre ist das her, und immer noch wacht er nachts schweißgebadet auf, weil er im Traum in einem Kreis von Plagegeistern steht, verschwitzt, beschämt, mit Tränen in den Augen und die eigene Schwäche abgrundtief hassend. Wie er’s auch dreht und wendet, ihm bleibt nur Sundström, die Demütigung und die dauernde Angst aufzufliegen. Alternativen Fehlanzeige.
Luhta schnippt den Zigarettenstummel weg. Er fliegt an der als Aschenbecher aufgestellten Gurkendose vorbei, prallt von der Ziegelwand ab und verlischt fauchend in einer Regenwasserpfütze. Luhta schaut dem Rauchfähnchen nach, das von dem Stummel aufsteigt, und plötzlich fällt ihm doch noch eine Alternative ein.
Er könnte sich eine Pistole beschaffen. So schwer ist das nicht. Makkonen weiß über so was Bescheid, ihn kann er beiläufig danach fragen.
Er müsste nur einmal im Leben wie ein richtiger Mann handeln, sich einmal trauen. Dann wäre er vielleicht für immer aus der Scheiße heraus. Und wenigstens Annika, Teemu und Ville hätten es danach besser. Es könnte natürlich seine Zeit dauern, bis sie den Schock überwanden, aber am Ende würden sie es überstehen. Menschen erholen sich, Menschen nehmen ihr Schicksal an, Menschen vergessen und sind zäh. Das Leben würde Tag für Tag leichter, bis sie eines Morgens darauf kämen, dass sie eigentlich kaum etwas verloren hatten. Und das wäre sogar die Wahrheit. Von dem Morgen an würde alles gut werden. Alles würde gut. Für immer.
VIITASALO
Wieder so eine Nacht, in der Viitasalo sich einreden wollte, dass er nicht schuld ist, und wieder hat er kein Auge zugetan. Die Tage übersteht er, indem er sich in die Arbeit stürzt. Aber wenn er abends in das stille Haus zurückkommt, verfinstern sich hinter den dunklen Fenstern auch seine Gedanken. Die Abende sind schlimm, und am schlimmsten ist es, wenn er Liina gute Nacht gesagt und die Tür zum Kinderzimmer zugemacht hat. Dann kommt er ins leere Wohnzimmer zurück und sieht das leere Sofa. Die linke Seite, die mit dem Fußteil, ist seine. Sie haben das nie so ausgemacht, es hat sich so ergeben. Er sitzt vor dem beinahe stumm geschalteten Fernseher, nur um eine halbe Stunde später zu sich zu kommen und zu erkennen, dass er nicht weiß, was er gerade gesehen hat. Und immer wieder wandert sein Blick zu der Stelle an der Wand, wo ihr Hochzeitsbild hängt.
Irgendwann muss er dann doch ins Bett. Er kann es bis weit nach Mitternacht hinausschieben, aber er kann nicht die ganze Nacht im Halbschlaf im Wohnzimmer sitzen bleiben. Viitasalo muss schlafen, er muss es packen, kann es sich nicht leisten aufzugeben. Jetzt nicht und in Zukunft nicht. Er muss stark sein, weil Sari und Liina es nicht sind. Weil sie ihn brauchen. Er muss die Zähne zusammenbeißen und zeigen, dass man sich wenigstens um einen in der Familie keine Sorgen machen muss.
Und doch versucht er, wenn er dann ins Schlafzimmer geht, nur an die Zimmerwand auf seiner Seite zu schauen, die, an der sich über die ganze Länge in etwa einem halben Meter Höhe eine von Liina gezeichnete blaue Filzstiftlinie entlangzieht. Er hätte sie längst übermalen wollen, kann sich nur nicht dazu aufraffen. Er zieht sich aus, legt die Kleider auf einen Hocker, schlüpft unter die kalte Decke und weiß schon, dass gleich alles wieder hochkommt, erst die Angst und dann dieses undefinierbare Gefühl der Schuld. Obwohl er die Augen schließt und die Stimme im Kopf zu unterdrücken versucht, spürt er überdeutlich den leeren Platz neben sich, und ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Augen wieder aufzumachen. Dann sieht er links neben sich das Kissen, das nicht von Saris Kopf eingedrückt wird, wie es eigentlich sein sollte, streckt die Hand aus und
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