In der Falle - Leino, M: In der Falle
spürt auf dem leeren, kühlen Platz Saris Gegenwart. Er spürt sie und hört doch nur den eigenen Atem und das trockene Ticken des Sekundenzeigers seines Uraltweckers. Es sind Laute der Einsamkeit und der Schuld. Obwohl er weiß, dass er nicht allein Schuld hat, gar nicht haben kann, wird er den Gedanken nicht los. Wenn er dann doch noch einschläft, ist es immer nur für wenige Augenblicke, und er hat Träume, die er lieber nicht hätte und von denen er wieder aufwacht. Wenn morgens der Wecker klingelt, fühlt er sich müder als in der Nacht, als er zu Bett gegangen ist. Und jeden Morgen umarmt er ihr kaltes Kissen. Er sagt ihr flüsternd, dass er sie liebt, und schämt sich dabei. Er kann nichts dafür. Er vermisst Sari. Ob sie sich an alles erinnert, was er gesagt hat? Hat sie alles so gemeint, wie sie es gesagt hat?
Wieder so eine Nacht. Viitasalo wirft die Kaffeemaschine an und geht ins Bad. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, vor dem Rasieren eiskalt zu duschen.
Er stellt den Frühstücksbrei in die Mikrowelle, bevor er Liina wecken geht.
Er steht im Zimmer des Mädchens, das leise schnarcht und seinen Teddy Pontus fest im Arm hält. Er muss sich zwingen, Liina nicht aus dem Bett zu reißen und loszuheulen. Er beugt sich zu ihr hinunter und atmet eine Weile im selben Rhythmus, dann streicht er ihr vorsichtig die nachtfeuchten Haare aus der Stirn. Es ist, als könnte er so das Vertrauen und die Ruhe, die das schlafende Mädchen ausstrahlt, auf sich übertragen. Als er das Pling der Mikrowelle hört, drückt er Liina einen Kuss auf die warme Stirn. Eine kleine Hand wischt über die Kussstelle, dann dreht sich das Mädchen auf die andere Seite und zieht sich und Teddy Pontus die Decke über den Kopf. Viitasalo setzt sich auf die Bettkante und schaut seine Tochter an. Zum Glück hat sie die feinen Züge ihrer Mutter geerbt. Als er das Mädchen sachte an der Schulter schüttelt, sind Angst und Schuld für einen Augenblick verschwunden.
»Nur noch ein bisschen, Papa«, murmelt Liina.
»Nein, es ist Zeit zum Aufstehn. Sonst kommst du zu spät in den Kindergarten«, sagt Viitasalo und zieht das Mädchen an sich. »Ab zum Zähneputzen, dann gibt’s Frühstück!«
Viitasalo hält die sich noch ein bisschen wehrende, aber die Arme fest um seinen Hals schlingende Liina in den Armen und ist sich plötzlich sicher, dass im neuen Jahr, wenn erst der Schnee schmilzt und Sari wieder nach Hause kommt, wenn sie erst wieder alle drei zusammen sind, die ganze Familie, dass dann alles gut werden wird. Alles. Für immer.
I
OKTOBER
Juha Viitasalo nahm die Din-A4-Blätter, wie der Drucker sie ausspuckte, und las. Ein Hagelschauer klopfte gegen die Scheibe und auf das blecherne Sims des Fensters hinter seinem Rücken. Janne Kivi saß auf dem einzigen Besucherstuhl im Zimmer, schnalzte mit der Zunge und drehte den Kaffeebecher in den Händen.
»Und?«
»Nichts«, sagte Kivi und nahm einen Schluck Kaffee. »Klasse Wetter.«
»Das war nicht der Grund, warum du mit der Zunge geschnalzt hast.«
»Ich hab sie mir verbrannt. Der Kaffee ist heiß.«
Viitasalo schaute über die Papiere hinweg zu Kivi hin, der mit den Achseln zuckte.
»Wolltest du was Bestimmtes?«, fragte Viitasalo.
»Nö, nur fragen, ob du bei dem Palaver wirklich eine Rede halten willst?«
»Es ist keine Rede, ich präsentiere nur Fakten.«
»Also hältst du sie?«
»Ja, verdammt. Und langsam geht’s mir auf den Sack, dass Tuomisto sich ins Hemd macht«, schimpfte Viitasalo und griff nach den letzten Blättern aus dem Drucker. »Wieso interessiert dich das eigentlich so brennend?«
»Nur so. Ich meine, du musst wissen, was du dir leisten kannst.«
»Wenn du mir was zu sagen hast, sag’s!«
»Juha, es geht hier darum, wie Tuomisto hinterher dasteht. Er ist immerhin der Boss.«
»Und?«
»Nichts. Ich denke nur laut. Und es geht um deinen Arsch.«
Viitasalo tackerte die Blätter zusammen und stand auf. »Genauso ist es. Dann also auf in die Höhle des Löwen!«
Kivi holte ihn erst auf dem Gang ein.
»Weißt du, was meine Mutter mir eingeschärft hat, als ich noch ein Teenie war?«, fragte Kivi.
»Na?«
»Sie sagte, wenn du’s unbedingt zu einer weichen Birne bringen willst, sauf, aber lass die Finger von Drogen, die sind Teufelszeug!«
Viitasalo sah Kivi fragend an, und Kivi grinste.
»Sie hat von uns gesprochen. Wir sind Drogencops, und wir sind weich in der Birne.«
»So hellsichtig kann deine Mutter gar nicht gewesen sein«, sagte
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