In der Falle - Leino, M: In der Falle
ich.
»Warum willst du’s selber machen?«
»Zum Spaß.«
»Und mit wem hast du geredet?«
»Ich war nur in Gedanken.«
»Ach so. Wenn du fertig bist, liest du mir dann vor?«
»Was denn?«
»Das hier.«
Liina hebt mit beiden Händen das Buch in die Höhe. Es ist Der kleine Prinz . Ich wende den Blick schnell zur Spüle. Warum gerade das Buch? Um die neben dem Spülbecken gestapelten Teller hat sich eine seichte Pfütze gebildet, die das Licht reflektiert. Ein funkelnder kleiner See.
»Möchtest du nicht mal was anderes hören?«, frage ich.
»Nein, das!« Liina sagt es heftig und stampft dabei mit dem Fuß auf.
»Aber Liina-Schätzchen, du kannst es doch schon auswendig.« Ich schaue sie an und lächle.
»Na und?«
»Ist schon gut.«
»Kommst du, Mama?«
»Gleich. Wenn ich fertig bin.«
»Brauchst du noch lange?«
»Nein«, antworte ich, und sie nickt und dreht sich um. »Liina!«
Sie schaut von der Tür zu mir her. Obwohl sie aussieht wie ich vor dreißig Jahren, hat sie Juhas Augen, die jetzt träge blinzeln. Es sind Augen, die einen umso mehr anziehen, je länger sie einen anschauen. Man kommt ihnen nicht aus.
»Haben es dir Papa oder Oma auch vorgelesen?«
»Wann?«
»Als …«, beginne ich, kann aber erst mal nicht weitersprechen. Die Pause ist nicht lang, aber sie fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Ich muss lernen, darüber zu reden. Ich muss lernen, darüber hinauszuwachsen. »Als … Mama krank war.« Ich muss es Liina vorlesen und die Nacht und das Kissen vergessen und die Reaktionen, die das Buch damals in mir ausgelöst hat. Ich muss es schaffen. Es ist wieder ein neuer Schritt.
»Nein.«
»Ach. Hast du sie nicht gefragt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil es nicht dasselbe ist, wenn es jemand anders liest. Ich will, dass du es liest. – Ich warte im Wohnzimmer«, erklärt Liina in dem Ton, den sie sich von den Kindergärtnerinnen abgehört hat. »Ich hol Teddy Pontus dazu. Er will es auch hören.«
Dann ist sie weg. Ich schließe die Augen und versuche, die Tränen zurückzuhalten. Ich fuhrwerke mit der Bürste im Spülbecken herum, dass das Geschirr klappert, und wische mir mit dem Rücken der anderen Hand die Augenwinkel trocken. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Was, wenn ich es geschafft hätte? Zum Glück habe ich es nicht geschafft. Zum Glück bin ich hier, und Liina wartet im Wohnzimmer, und Juha ist bei seiner abendlichen Joggingrunde. Zum Glück gibt es uns alle noch, und das Böse ist nicht mehr da. Es ist nicht mehr in mir. Und diesmal kommt es auch nicht mehr zurück.
Ich liebe Liina, ich liebe Juha, und ich liebe mich selbst. Ich liebe das Leben. Jetzt weine ich hemmungslos, aber es ist ein gutes, dankbares Weinen. Der Rücken meiner Hand ist nass, warm, schrumpelig und voller Schaum. Es läuft alles gut. So wird es weitergehen. Alles wird gut. Für immer.
VESA
»Du hast es versprochen.«
»Ja, ja, ich weiß, aber ich hatte keine Wahl. Nur dieses letzte Mal noch.«
»Das sagst du seit Monaten.«
»Ja, schon. Aber du weißt, dass ich keine Wahl hatte.« Vesa betrachtet sich, während er telefoniert, im Spiegel. »Ich wollte nicht mitmachen, das weißt du.«
»Ja, weiß ich das? Ich hab dafür nur dein Wort, und langsam denk ich mir meinen Teil.«
»Glaub mir, nur noch das eine Ding, dann bin ich raus.«
»Ja, klar.«
»Ehrlich, Tiina. Das eine Mal noch, dann ändert sich alles. Es wird alles gut. Für immer.«
»Wer’s glaubt. Das Einzige, was sich geändert hat, bist nämlich du. Du bist komisch geworden, ich kenn dich überhaupt nicht mehr.«
»Hör auf!«, antwortet Vesa und spürt tief in der Brust einen Stich.
»Warum erzählst du mir überhaupt was? Ich will deine Geschichten nicht mehr hören.«
»Hör zu: Nach dem Ding bin ich die Schulden, die von Vater noch übrig sind, los und kann sogar noch was auf die Seite legen.«
»Ach, wie nett. Und wann wollte dein Alter zurückkommen?«
»Wenn das Ganze vorbei ist«, sagt Vesa schnell. »Und das Geld, Tiina … Ich hab mir gedacht, dass wir endlich zusammenziehen könnten, ich könnte mir einen Job besorgen, hab ich mir gedacht.«
»Hast du dir gedacht.«
»Was soll das jetzt? Wir reden schon seit über einem Jahr davon, jetzt könnten wir’s endlich schaffen.«
» Du redest davon, ich nicht.«
»Hör jetzt auf! Okay, ich verstehe, dass du Angst hast. Es ist ja auch eine große Sache.«
»Ich hab nichts von Angst gesagt. Ich hab gar nichts gesagt.«
»Mann, musst du ausgerechnet jetzt
Weitere Kostenlose Bücher