In der Gewalt der Banditen
den Herrn?“, flüsterte sie und ihre Züge spiegelten maßloses Entsetzen.
„Ja. Claire … Er ist in einem fürchterlichen Zustand. Es hat mir fast das Herz gebrochen, ihn so zu sehen. Wir werden ihn da rausholen. Noch in dieser Stu n de.“
Ich war so von meinem Plan durchdrungen, dass ich in den wenigen vergang e nen Minuten, seit ich das Verließ verlassen hatte, sämtliche meiner eigenen Bedenken in den Wind geschlagen hatte.
Erfüllt von der Unabdingbarkeit, ihn zu befreien, verschwendete ich keinen G e danken mehr an die Möglichkeit, zu scheitern und sowohl Claire als auch den Burschen mit ins Verderben zu reißen.
Es musste getan werden, also würde ich es tun.
„Unten wartet ein Diener – Er wird uns helfen!“
Nicht für einen Moment dachte ich darüber nach, dass der Bursche vielleicht längst zu Henry gegangen sein mochte, um diesem von den ungeheuerlichen Vorgängen zu berichten.
„Aber wie soll das denn gehen?“ Offensichtlich versuchte sie krampfhaft, me i nen Gedankengängen zu folgen.
„Das weiß ich auch noch nicht. Wir müssen uns etwas einfallen lassen!“
„M´am … Ich sehe das nicht. Ist er nicht schwer verletzt?“
„Gewiss ist er das. Sie haben ihn gefoltert.“
„Kann er gehen?“
Eine einfache Frage mit einer auf der Hand liegenden Antwort.
„Ich fürchte nein.“
Sie erhob sich und legte ihre Näharbeit in den Korb. Es entging mir nicht, dass sie es zu vermeiden suchte, mich anzublicken.
Plötzlich aber drehte sie sich zu mir um.
„Wir gehen hinunter und ich werde ihn mir ansehen. Dann überlegen wir we i ter.“
Das war zumindest ein Hoffnungsschimmer.
Wir begaben uns gemeinsam in Richtung des Kerkers, wobei wir alle paar Schritte stehen blieben, in die nächtliche Stille lauschend, erfüllt von der Furcht vor Entdeckung.
Der Diener stand noch immer auf seinem Posten und er sah aus wie die pers o nifizierte Angst, als wir auf ihn zutraten.
„Alles in Ordnung. Ich bringe Hilfe“, murmelte ich.
Er nickte unsicher und ließ uns in die Zelle.
Claire brauchte keine zwei Augenaufschläge, um John zu betrachten und den Ernst der Lage zu erkennen.
Sie ergriff meinen Arm und zog mich in die von ihm entfernteste Ecke. Dort wisperte sie mir zu:
„M´am. Er ist praktisch schon tot. Er wird nicht mal den Weg bis ins Freie übe r leben. Weiß der Himmel, wie sie ihn morgen zur Hinrichtung schaffen wollen. Das kann nicht funktionieren. Er wird sterben und wir werden alle mit ihm ins Verderben gerissen!“
Dass sie diese Worte so nüchtern sprach, erschütterte mich noch mehr. Sie konnte, sie durfte mich nicht im Stich lassen.
„Claire! Ich flehe dich an! Alleine schaffe ich es nicht. Er hat sein Leben für meines gegeben. Das kann ich nicht so vergelten!“
„Ihr müsst es akzeptieren, M´am. Es geht einfach nicht.“
„Niemals!“, erklärte ich im Brustton der Überzeugung.
Ich trat schnellen Schrittes neben John.
„Und wenn ich mit ihm sterben muss … Aber ich werde es zumindest vers u chen!“
Und ich hatte auch eine Idee.
Claire blieb nur, mich stumm zu beobachten, wie ich dem Diener den Umhang abnahm, den er gegen die herrschende Kälte trug, und diesen neben Johns Lager ausbreitete.
„Es wird jetzt weh tun … Aber du darfst keinen Laut von dir geben … Hörst du?“, flüsterte ich ihm zu. Er reagierte nicht.
So vorsichtig ich nur konnte, schob ich meinen Arm hinter seinen geschundenen Rücken. Ich ignorierte den Gedanken, dass die weiche Feuchtigkeit sein blut i ges Fleisch sein mochte, und zog ihn mit aller Kraft auf den Umhang.
Dann ergriff ich das freie Stück Stoff oberhalb seines Kopfes und zog ihn mit mir.
Er war so unendlich schwer. Schweiß strömte über meinen Körper, doch die Sorge um ihn gab mir zumindest die Kraft, ihn aus der Zelle und bis zur Treppe zu schleppen.
Meine beiden Begleiter sahen mir dabei nur wie versteinert zu. Krampfhaft ve r suchte ich, mein Ächzen zu unterdrücken, meinen Atem zu kontrollieren und die nachlassende Kraft in meinen Armen.
Mit jedem Schritt, den ich John durch das modrige Stroh am Boden zog, schwand meine Zuversicht und als ich am Fuß der Treppe angelangt war, kämpfte ich nicht nur mit den Tränen, sondern mit der verzweifelten Angst vor einem nur allzu naheliegenden Scheitern.
War es wirklich denkbar, dass mir nichts anderes bleiben würde, als ihn in seine Zelle zurück zu schleppen?
Dann – und dieser Entschluss stand für mich absolut fest, als ich nach oben blickte – würde
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