In der Gewalt des Jadedrachen
schweifen. Chen war nicht allein. Ein junger Mann war bei ihm, lehnte lässig, die Hände in den Hosentaschen, am Fenster. Kein Unbekannter für Forrester. Es war Patrick Chen, Chen Wing-Luns Neffe.
Fremder war ihm allerdings der dritte Mann im Raum. Ein gefährlich aussehender Kerl, das perfekte Abbild eines Klischee-Killers. Eine Narbe zog sich über seine Wange und sein Kinn.
Es war jener Unbekannte, den sie auf unzähligen Fotos und Überwachungskameras festgehalten hatten. Das Verbindungsglied zwischen dem Jadedrachen und dessen Helfern oder Untergebenen.
Chen trat auf ihn zu. „Mr. Forrester, welch eine Überraschung. Was führt Sie zu mir?“ Es war ihm anzusehen, dass er sich bemühte, höflich zu wirken, auch wenn sein Gesichtsausdruck alles andere als freundlich war.
Forrester bemühte sich nicht einmal um den Anschein von Höflichkeit. „Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht behilflich sein?“ Er zog ein Foto aus der Anzugtasche. Jenes Bild, das man unter Lanas Tür durchgeschoben hatte.
Chen sah darauf, ohne hinzugreifen. „Ich nehme an, Sie hoffen, dass ich diesen Mann identifizieren kann. Das ist aber leider nicht der Fall. Ich habe diesen bedauernswerten Toten niemals gesehen.“
„Das will ich gar nicht abstreiten“, erwiderte Forrester und zog ein anderes Foto hervor. Eines, das er von den Filmen der Hotelüberwachungskameras hatte machen lassen. „Aber vielleicht kennen Sie diese Frau?“
Das Bild zeigte eine Chinesin im traditionellen Qipao. Sie hatte langes Haar, war stark geschminkt und trug hohe Absätze. Chen hob nur die Augenbrauen.
„Diese Frau war noch vor zwei Stunden in dem Hotel, in dem ich wohne. Man hat sie gefilmt, als sie einen Umschlag unter Miss McKenzies Tür durchgeschoben hat. Einen Umschlag, in dem sich das Bild des Ermordeten befand.“ Sein Blick fiel auf den jungen Chinesen, der seine lässige Position nicht verändert hatte. „Zeugen haben zudem noch gesehen, wie die junge Frau das Hotel verließ, die Straße überquerte und dann in einen Wagen stieg.“ Er machte eine kleine Pause, um das wirken zu lassen, bevor er fortfuhr: „Und zwar genau den Wagen, der draußen vor Ihrem Haus parkt, Mr. Chen. Jetzt würde mich interessieren, ob Ihnen diese Frau bekannt ist. Vielleicht …“, er wanderte, während er weitersprach, durch den Raum und blieb vor dem jungen Mann am Fenster stehen, „ist sie Ihnen ja sogar sehr gut bekannt, und ich könnte sogar schwören, dass sie sich hier im Zimmer aufhält.“ Er kniff ein Auge zusammen und betrachtete den jungen Mann vor ihm eingehend, während er das Bild neben ihn hielt. „Faszinierend diese Ähnlichkeit.“
Patrick Chen sah kurz auf das Foto, dann auf Forrester. Sein Blick war spöttisch, als er ihn von oben bis unten musterte.
„Wollen Sie damit sagen, dass mein Neffe als Frau verkleidet durch ein Hotel spaziert?“ Chen klang amüsiert.
„Warum nicht? Die Ähnlichkeit ist jedenfalls frappant. Und hübsch genug wäre er ja. Könnte mit der richtigen Frisur und Schminke glatt als Frau durchgehen.“ Er nahm das Bild und warf es dem jungen Chinesen vor die Füße. „Ist aber nicht weiter schlimm. Ich habe mir sagen lassen, dass manche Frauen auf hübsche Männer in Kleidern stehen.“ Forrester drehte sich nicht nach Chen um, sondern fixierte Patrick.
In dessen Augen blitzte jetzt eine Mischung aus Zorn und noch etwas Undefinierbares, seine gleichmäßigen Gesichtszüge waren kalt, es war deutlich zu sehen, dass er seine Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt hatte.
Endlich atmete er tief durch und sah an Forrester vorbei.
„Onkel Chen, muss ich mich von diesem
gweilo
beleidigen lassen?“ So wie er es aussprach, war der chinesische Ausdruck für Fremder wie ein Schimpfwort.
„Nein, mein Sohn. Deshalb werden wir Mr. Forrester jetzt auch höflich bitten, zu gehen. Der Zeitpunkt für seinen Besuch ist auch äußerst schlecht gewählt.“
„Das sehe ich anders. Es könnte gar nicht günstiger sein.“ Der andere Besucher, der sich bisher schweigend im Hintergrund gehalten hatte, trat vor. Forrester wandte sich nach ihm um. Und blickte in die Mündung einer Waffe.
„Darf ich vorstellen“, ließ sich Onkel Chen freundlich vernehmen, „das ist Feng, auch bekannt als die ‚Hand des Drachen’.“
Feng hieß er also. Forrester hob langsam die Hände.
„Du gestattest doch,
gweilo
?“ Chens Neffe trat an ihn heran, tastete ihn nach Waffen ab, dann nickte er Feng zu. „Er ist
Weitere Kostenlose Bücher