In der Hitze der Stadt
Ich spür das«, triumphierte er.
Baumer ließ die Hand mit dem Mobiltelefon sinken. Was Rötheli ihm jetzt erzählen würde, interessierte ihn ganz einfach nicht. Der Chef der Privaten hatte ein Gespür für Menschen, wie ein kanadischer Holzfäller ein Gefühl für eine Stradivari hat. Wenn Rötheli einen Typen aufgegriffen hätte, der es gewesen sein könnte, war die Chance groß, dass er einen schlimmen Fehlgriff getan hatte.
Der Kommissar hatte bereits den Hintereingang des Bahnhofs passiert. Als er das Telefon wieder an sein Ohr führte, hörte er Rötheli reden. »… ist der Typ weggerannt. Aber wir waren schneller.«
Baumer sagte nichts.
»Hallo? Hörst zu überhaupt zu?«
»Ja«, meldete sich der Kommissar, obwohl es ihn nicht die Bohne interessierte, was der Superpolizist zu berichten hatte.
»Also, wie gesagt. Der Typ verhielt sich mehr als verdächtig. Und jetzt Achtung!«
Baumer schnaufte explosiv aus und bat alle Götter dieser Welt, dass Rötheli es endlich rauslasse, damit er wieder seine Arbeit machen konnte.
»Der Typ hatte ein Springmesser in der Jackentasche und einen Dolch im Stiefel.«
»Bravo!« sagte Baumer sarkastisch. »Gut gemacht. Ciao!« Er klickte Rötheli weg und verschwendete keinen Gedanken mehr an diesen Polizisten, der nicht dumm war und dennoch blöd. Jeder, der einen Kopf zum Denken hatte, hätte doch sofort gemerkt, dass der Aufgegriffene mit größter Wahrscheinlichkeit nie und nimmer der Täter sein konnte. Das war so offensichtlich.
Jeder konnte das erkennen.
3
Kommissar Baumer stand vor dem Haus, in dem Hans Steiner wohnte. Das Gebäude war alt und verlottert, seine Farbe dunkelgräulich. Es musste einmal schön gewesen sein, denn die Architektur war verspielt und der Bau mit üppig gestalteten schmiedeeisernen Fenstergittern und filigranen Holzarbeiten verziert. Welch Unterschied zu den Glas-Beton-Bunkern, die sich auch in Basel breitmachten wie Metastasen eines unheilbaren Krebses. Basel-City, Zürich-Schlieren, Marseille Centre, Krakau, Duisburg. Egal, wo man hinkam, die Städte waren alle gleich verkrebst mit diesen ewig gleichen post-post-modernen Geschwüren.
Das Haus, an dem Baumer hochblickte, zeugte von einer anderen Epoche, von anderem Lebenssinn. Von einer Zeit, als der Mensch im Zentrum des Bauens stand und nicht der Architekt oder die Profitgier des Bauherren. Das Baujahr schätzte er auf Beginn des letzten Jahrhunderts. Wahrscheinlich war es noch vor dem Ersten Weltkrieg gebaut, aber seit Langem nicht mehr instand gehalten worden. Die steinernen Fassadenteile waren rußig, wie längst verwitterte Grabsteine, die Fensterläden windschief, die vielen Farbschichten zumeist gänzlich abgeblättert. Hier wohnte also dieser Steiner.
Hans Steiner.
Baumer betrachtete das Namensschild an der Tür. Die von Hand aufgetragene Schrift erinnerte ihn an die alte Sütterlinschrift, aber sie war einfach nur ungelenk geschrieben.
Der Kommissar drückte den Klingelknopf. Nach kurzem Moment ertönte ein rasselnder Summton, aber er hatte die Tür schon aufgeschoben, denn sie war nur angelehnt gewesen. Die Bewohner vertrauten wohl auf den Instinkt der Diebe, dass in diesem Haus nichts zu holen sei. War etwas für ihn zu holen bei diesem armen Mann? Das würde er jetzt herausfinden.
Die Wohnung von Hans Steiner lag im ersten Stock. Als Baumer heraufkam, stand sein Kunde schon in der halbgeöffneten Tür.
Das längliche Gesicht des Alten war stumm, als er den Basler Polizisten erkannte. Er drehte sich sogleich um, begrüßte den Kommissar nicht, lud ihn auch nicht ein einzutreten. Im Zurückgehen öffnete er einfach die Wohnungstür ganz weit und stellte sich schon fast in Habachtstellung in seiner Bleibe auf.
Der Kommissar trat ein. Er blickte um sich.
Die Wohnung war, wie sie eben ist bei alten, armen Leuten. Der Holzboden im Korridor, abgenutzt und verbraucht, die Wände und die Decken vergilbt. Die wenigen Möbel waren klapprig wie der Bewohner selbst.
Steiners Heim war immerhin sorgsam eingerichtet. Zu vielen Möbeln hatte es allerdings nicht gereicht. Es gab Anrichte, Garderobe, Sofa, Tisch, Stuhl, Bett. Insgesamt war die 2-Zimmer-Wohnung sauber, mit Krimskrams hier und dort, doch nicht überbordend. Was Baumer auffiel: Dieser Nippes war perfekt in paralleler Anordnung zueinander ausgerichtet und bar jeden Staubs. Es schien, als putzte und ordnete der Rentner diese Dinge täglich.
Während Baumer den Korridor und das Wohnzimmer inspizierte, verharrte Hans
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