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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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die eines Nobelpreisträgers. Baumer war das recht, denn so konnte er immerhin Kommissar werden. Da brauchte man nicht oberschlau zu sein, musste mehr mit Gefühl arbeiten. Wer zu viel denkt, verrennt sich leicht. Sogenannte Eliten sind für so viele Unglücke verantwortlich.
    Baumer machte seinen Job aber auch nicht einfach dumpf wie seine Kollegen, die den frühen Feierabend zumeist einer späten Verhaftung vorzogen. Er schoss nicht mit Vermutungen wild um sich, sondern sagte wenig bis gar nichts. Seine Kollegen empfanden dies als arrogant. Weil Baumer auch noch meistens Recht behielt, verübelten sie ihm seine Art. Einer der wenig redet, nicht mitgrölt, wenn alle grölen, einer der nicht hämisch mitlacht, wenn die ganze Truppe über einen armen Siech herzieht, so einer hat es schwer bei der Polizei – hat es überall schwer auf der Welt.
    Doch Baumer ließ sich nicht beirren. Er wusste, dass es nichts nützte, innere Leere mit sinnloser Aktivität, Stille mit sinnlosem Geschnatter zu füllen. Sowieso war das selten notwendig. Seine Kunden beichteten ihm meistens von sich aus, was sie Böses getan hatten. Schlimmer als die vielen Fragen der Wichtigtuer und ihre bohrenden Finger im Gesicht, empfanden diese Gauner es ja immer, wenn ihr Gegenüber schwieg. Diese schmerzende Stille, die kann keiner, der Schuld auf sich geladen hat, lange ertragen. Irgendwann muss der Horror heraus.
    Auch jetzt war Andreas Baumer nicht nach Schwatzen zumute. Er saß mit einem verurteilten Kinderschänder, den ein paar Mitgefangene hatten abstechen wollen, in dessen Küche und trank Kaffee. Es war gut möglich, dass es dieser Mann war, der das Mädchen ermordet hatte. Sein Hass auf die Welt, das Unglück, das ihm geschehen war, könnte wohl auf das Kind an sich gerichtet sein. Deshalb hatte Mina heute dran glauben müssen, weil sich die Wut in Hans Steiner immer weiter aufgestaut hatte, bis sie heute an diesem kochend heißen Sommertag explodiert war.

    Oder so.

    Der Kommissar blickte Steiner an, der den Kaffee in zwei weiße Tassen hineingoss und diese sorgfältig auf ein Tablett stellte. Leicht zittrig und daher umso vorsichtiger trug er sie an den Tisch.
    Baumer hatte sich auf den einzigen Stuhl im Raum gesetzt, als Steiner den Kaffee kochte. Nun erhob er sich und bot ihm seinen Platz am Tisch an.
    Steiner nahm dankend an, setzte sich schwerfällig. Er schnaufte aus und rieb sich sein linkes Knie.
    Andreas Baumer schüttelte den Kopf. Er dachte: Bin ich blöd? Das ist ein alter Mann, sicherlich schon achtzig. Der tut keiner Fliege mehr etwas zuleid. Als ob er sich schuldig fühlte, den Rentner für den heutigen Mord verdächtigt zu haben, begann er mit einem Mal unverfänglich mit dem Ex-Sträfling zu plaudern. »Ich kann gar nicht mehr gerade denken. Ich brauche dringend einen Kaffee.«
    Hans Steiner hob eine Tasse vom Tablett, stellte sie dem Kommissar hin. Baumer goss sogleich Milch aus dem Kännchen hinzu, noch bevor Steiner sich selbst seine Tasse hingestellt hatte, und probierte. Er schmeckte kaum den Kaffee. Also nahm Baumer gleich nochmals einen langen Schluck. Er brauchte dringend Koffein, aber es war vergebens. Das Getränk war fade, eine dünne Wasserbrühe. Offenbar musste sein Gastgeber mit dem Kaffeepulver sparsam umgehen.
    »Ist er Ihnen zu fade?«, fragte der Alte überrascht, als er Baumers Miene sah. »Dabei habe ich ihn doch extra stark für Sie gemacht. Aber, na ja, neun Jahre Abwaschwasser trinken. Das prägt schon.«
    Baumer nickte. »Das ist in Ordnung. Mein Freund Heinzmann nimmt seit Jahren Instantpulver. Der hat seinen Geschmack auch verdorben.«
    Der Alte hob den Kopf ein wenig und lachte ohne die Zähne zu zeigen. Es war plötzlich so etwas wie Vertrautheit zwischen ihm und seinem Gast zu spüren.
    »Wissen Sie, Herr Kommissar. Im Wauwilermoos, im Zuchthaus, bekamen wir damals praktisch nur Tee – ungezuckert, versteht sich. Kaffee war schon etwas Besonderes. Den gab’s nur am Wochenende. Und wenn sie uns den Chicorée-Ersatz oder gar echten Bohnenkaffee brachten, konnte man bis auf den Boden der Tasse sehen.«
    »Ich glaube, ich wäre gestorben ohne guten Kaffee.«
    »Ich starb beinahe, aber es war nicht deshalb.«
    Die restliche Geschichte von Hans Steiner war dann rasch erzählt. Er war 20 Jahre alt, damals, 1952. Ein junger Spund. Er hatte seine Zimmermannslehre beendet, aber es gab nur wenig Arbeit in der Schweiz. Also tingelte er durch halb Europa auf der Suche nach einem Einkommen.
    »Wissen

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