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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Sie. Wir hatten damals eine richtige Rezession. Überkapazitäten infolge mangelnder globaler Nachfrage.« Steiner erzählte lebhaft, bewegte seine Hände aber gemächlich und kontrolliert, als habe er zu wenig Kraft, um sie schnell in die Luft zu bekommen. »Zum Glück kam der Koreakrieg«, fügte er an. »Der hat uns gerettet.«
    Baumer hörte zu, unterbrach nicht, während Steiner ihm Kaffee nachschenkte.
    »Dank des Krieges wurde die Weltwirtschaft angekurbelt und es wurde wieder investiert. Warten Sie es nur ab. Die Amis werden erneut irgendwo eine Militäraktion anzetteln, um aus der jetzigen Krise zu kommen.«
    Das konnte durchaus sein, doch Baumer wollte nicht abschweifen. »Wie kam es zu Ihrem …« Baumer wollte sagen Verbrechen. Er korrigiert sich: »… Unglück?«
    Steiner stand zu seiner Geschichte ohne Scham. »Ich kam nach zwei Jahren zurück ins Gundeli. Hier bin ich aufgewachsen. Mein alter Schatz war immer noch da, hatte aber einen anderen. Ich wollte wieder anbandeln. An einem Morgen kam die Polizei. Das war’s.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Der alte Mann hielt sich jetzt mit beiden Händen an seiner Tasse fest. An den gefleckten Handrücken sah Baumer zahlreiche bläuliche Adern, die dick und rund hervorstachen. Steiner schaute mit trübem Blick. »Ein Kind war vergewaltigt worden – schrecklich.«
    Andreas Baumer war erstaunt, wie Steiner das Wort »schrecklich« sagte. Er hatte es nüchtern ausgesprochen, es schien einfach angehängt an seinen Satz. Nun hing es dort, wie eine ausgeblichene Fahne am längst verlassenen Haus. Steiner musste diesen Satz und seine Bestürzung schon hundert Mal wiedergegeben haben. Der Kommissar konnte an der Intonation nicht erkennen, wie ernst es dem Alten mit seiner Bestürzung über die Tat war, ob sie je echt gewesen war.
    Der Kommissar nahm seinen nachgefüllten Becher, hob ihn zum Mund, aber er trank nicht. »Sie wurden für die Vergewaltigung verantwortlich gemacht?«
    »Es ging ganz schnell. Ich wurde verhaftet. Ich fragte nach dem Grund. Eine Anzeige habe es gegeben gegen mich.«
    »Beweise?«
    »Es gab keine, nur Zeugen. Mehrere Leute hatten mich als Täter benannt.«
    »Sie waren bei der Tat beobachtet worden?«
    »Nein, nein. Ich war das nicht. Ich habe Kinder gerne. Ich würde ihnen nie etwas tun.«
    Der Kommissar konnte diese Information nicht mehr einordnen. »Sie haben vorhin zugegeben, ein Kind geschändet zu haben.«
    »Nein.« Auch dieses Nein ein Nein, das schon hundert Mal über die Lippen des Mannes gegangen war. »Ich bin ein verurteilter Kinderschänder. Ich habe neun Jahre gesessen. Nur das habe ich gesagt.«
    Baumer sagte nichts, fuhr sich fahrig durch seine stoppeligen Haare.
    Steiner hielt seine Tasse immer noch mit beiden Händen fest. Er blickte glasig. »Verurteilt bin ich. Aber ich habe es nicht getan. Ich mag Kinder. Habe gern mit ihnen geredet, manchmal gespielt. Nie würde ich einem Mädchen etwas tun.«
    Baumer konnte sich den Rest denken. Ein Kind war geschändet worden. Das Volk brauchte einen Täter für seine Rache. Hans Steiner blieb in den Fahndungsmaschen hängen, weil man ihn um die Kinder herum gesehen hatte. Das war eine Möglichkeit. Damals gab es noch keinen genetischen Fingerabdruck, wie man ihn heutzutage aus Spermaflecken erstellen kann. Die ganze Sache musste eine Eigendynamik angenommen haben. Steiner war schuldig, weil einer schuldig sein musste. Vielleicht hatte sein Nebenbuhler die Chance genutzt, ihn abservieren zu können. Hatte ein paar Kumpels geholt, die mit ihm zusammen den Zimmermann belasteten. Das Mädchen? Es hätte ihn entlasten können, aber es war sicher schockiert, konnte wahrscheinlich nur etwas von einem großen dunklen Mann stammeln, zeigte auf Steiner, als man ihn in Handschellen zu ihr führte. Weil er der Einzige war, den man ihr vorführte, vielleicht auch, weil sie sah, wie man den Zimmermann ruppig am Oberarm hin und her schob und alle mit bösem Blick auf diesen gefährlichen Mann in Handschellen schauten.
    Oder war es ganz anders? Hatte Hans Steiner eine kranke Veranlagung? War er ein Eigenbrötler und konnte nur mit Kindern Kontakt aufnehmen? Hatte er sich in Fantasien hineingesteigert, die eine immer größere Eigendynamik angenommen hatten? Als dann ein Kind seinem Wunsch nach Nähe, nach Intimität und sexueller Befriedigung nicht entsprochen hatte, muss sein ganzes Traumbild zerfallen sein. Eine Sicherung im Kopf platzte. Er schändete das Kind.
    »Ich habe Mina nichts gemacht«,

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