In der Hitze der Stadt
ausgerüstete Krankenhaus hatte man die tote Mina gebracht. Er hielt auf einem freien Haltefeld direkt vor dem Haupteingang zum Klinikum 2. Dort stellte er den Wagen ab, ging die paar Meter zurück zum Aufgang zur Notfallstation und marschierte zum Pförtnerhäuschen hinauf, wo Besucher und Patienten sich anmelden mussten. Im überdeckten Eingangsbereich standen ein Krankenwagen und ein paar zusammengeklappte Rollstühle.
Heinzmann ging zum Besucherschalter, klopfte zweimal an die Scheibe, ging aber weiter zur Tür und betrat, ohne eine Antwort abzuwarten, das Kabäuschen. »Hallo«, rief er munter der Frau zu, die am Informationsschalter saß und Besucher durch eine kleine Fensteröffnung informierte und einwies.
Die etwa 60-Jährige drehte sich zu ihm. Sie hatte die Lippen leuchtend rot geschminkt, hellblauen Lidschatten und übermäßig Rouge aufgelegt. Ihre schwarzen Augenbrauen waren bis ans Ende der Welt gezogen. Die Dame trug leichte Kleidung, eine bunte Bluse, weiße Hosen, einen ihre Falten am Hals verdeckenden Seidenschal. Das Namensschild auf ihrer bombastischen und daher sehr tief hängenden Brust identifizierte sie als Mitarbeiterin des Kantonsspitals.
Martina Wander.
Notfallpforte.
Die Baslerin erkannte Heinzmann. »Ja, wer kommt denn da?« Sie lächelte freudig und zupfte die Locken an ihrer hohen Perücke zurecht.
Stefan Heinzmann erwiderte das Lächeln mit einem rumpelnden Lachen.
Die Portière rutschte von ihrem hohen Drehstuhl. »Sali Heinzmann«, piepste ihre hohe Stimme. »Das hätte ich mir denken können, dass du kommst.«
»Hast du etwa auf mich gewartet, mein Schätzeli?«
»Auf dich gewartet?« Sie lachte hell. »Das wäre noch was, du und ich.« Sie drehte den Kopf doch leicht zur Seite und schlug ihre Augenlider flackernd wieder auf. Das Rouge verdeckte ihr zartes Erröten.
Heinzmann knurrte vor Freude. Es tat gut, mit einer alten Bekannten zu schäkern. Oft hatte er sie bei seinen Einsätzen hier getroffen. Immer, wenn er Schläger mit Schnittverletzungen, ohnmächtige Drögeler oder komatöse Diabetespatienten einlieferte, war sie da. Ihre Fröhlichkeit war sprichwörtlich und sicherlich kein Mangel an Mitgefühl mit dem, was um sie herum geschah. Martina Wander hatte sehr wohl Empathie mit Patienten und ihren Schicksalen. Aber sie war, wie Heinzmann selbst, ein Profi, und das bisschen Humor, das sich die beiden in langen Arbeitsjahren erhalten hatten, wollte sie sich bei all dem Elend um sie herum nicht nehmen lassen. Die Besuche des Wachtmeisters – auch wenn sie immer beruflicher Natur waren – waren kleine Glücksmomente für diese Frau. Selten zwar nur und doch absolut kostbar für einen Menschen, der sonst nur mit Verletzten und verängstigten Angehörigen zu tun hatte.
Neuerdings musste Martina Wander sehr aufpassen, dass ihr die gute Stimmung nicht abhanden kam. In Basel kamen immer mehr Leute direkt auf den Notfall, oft mit Lappalien. Aber so sparten sie den Hausarzt. Die Rechnung, wusste sie, würde der Staat dann zahlen – irgendwann. Diese Leute verstopften an hektischen Tagen jedoch die Warteräume und Behandlungszimmer, und solche stressigen Tage gab es in letzter Zeit immer öfter. Besonders Kräfte raubend waren die Wochenenden. Selbst kleinste Dispute unter Blödianen arteten immer öfter in brutale Schlägereien aus. Vermehrt kamen bei diesen Machos auch Messer zum Einsatz. Kosovaren gegen Italiener, Italiener gegen Türken, Türken gegen Vietnamesen und alle gegen die Schweizer. Wenn die Eingelieferten, die man ja versorgen wollte, dann noch besoffen randalierten, hatte die Frau gar kein Verständnis mehr. Immer öfter stellte sie sich die Frage, ob sie diesen Tanz noch lange mitmachen wollte.
Wenigstens war Heinzmann wieder mal da.
Der Basler Wachtmeister tauschte denn auch gerne noch ein paar kleine Scherze mit ihr aus. Als das getan war, änderte sich sein Gesichtsausdruck. Er blickte zu Boden, presste die Lippen aufeinander. »Hm«, sagte er.
Martina Wander wusste, warum er plötzlich einsilbig war. »Du kommst wegen des Kindes.«
»Ja.«
»Emine Azoglu.« Martina Wander schürzte den Mund. »Schlimm so was.«
»Tja«, antwortete Stefan Heinzmann rasch.
Die opulent geschminkte Frau nickte. »Ihre Leiche ist hier. Die Mutter und der Vater auch.«
»Wer von der Polizei ist außerdem noch hier?«
»Wenig Leute. Du kennst es ja. Die behandelnden Ärzte haben andere Autoritätspersonen neben sich nicht gerne, Polizisten in Uniform schon gar
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