In der Hitze der Stadt
allein.«
Auch jetzt, an diesem Tischchen im Mövenpick am Marktplatz, in diesem gnadenlos heißen Basel, hatte Maja ihn überfallen und seine Gedanken in Geiselhaft genommen. Aber er war es nur selbst, der ihr eine Gestalt in seinem jetzigen Dasein gegeben hatte und sie zum Leben erweckt hatte. Maja? Das war lange vorbei. Endgültig.
»So, Ihr Eistee und der Espresso.« Die Bedienung stellte die Getränke auf den Tisch und fragte: »Kann ich gleich kassieren, bitte?«
Baumer bezahlte.
Dann rief er an bei ihr.
Bei Maja.
*
Baumer stellte erstaunt fest, dass er die Nummer von Maja nicht mehr auswendig wusste. Zum Glück war der Kontakt weiterhin in seinem Handy gespeichert, auch wenn ihm jedes Mal ein Stich durchs Herz ging, wenn er durch den Buchstaben M scrollte und ihr Name als erster angezeigt wurde. Doch er hätte Maja nie löschen können. Das wäre ein Eingeständnis gewesen, dass alles vorbei war.
Es war nichts vorbei.
Baumer drückte den Verbindungsknopf. Er begann, flacher zu atmen. Das Verbindungszeichen kam, es läutete. Er hielt den Atem gänzlich an – aber es nahm niemand ab. Nach zwölfmaligem Läuten gab er es auf. Er legte das Telefon zur Seite, trank ein wenig Eistee. Dann nahm er einen Schluck Espresso. Nach einem weiteren Schluck Eistee blickte er um sich, schaute auf den Marktplatz. Der lag da wie immer. Die Marktstände präsentierten allerlei Gemüse, überteuerten Käse, Bio-Tofuschnitten, viel zu fette Wurst, Öko-Äpfel. Baumer hatte einmal das Gerücht gehört, dass gewitzte Bauern einfach billige verschrumpelte Äpfel minderer Qualität kauften und diese dann hier zu satten Preisen als Bio-Äpfel anboten. Ob es stimmte?
Auf dem Gehsteig standen die üblichen Touristen. Sie blickten über den Marktplatz und hoch zum Rathaus mit dem vergoldeten Türmchen, würdigten es mit beeindruckten Gesichtern und langgezogenen Worten, versuchten, es in ihre kleine Kamera zu bannen. Immer wieder fuhr eine Tram vor, verdeckte Baumers Blick auf die Touristen. Er beobachtete matt die Leute, die ein- und ausstiegen, er konnte sich auf nichts anderes konzentrieren in der sengenden Hitze. Zwei kleine Übergewichtige mit krummen Stummelbeinen fürchteten sich, keinen Sitzplatz ergattern zu können. Sie drängelten an den Eingängen der Nummer 15, hoben sich schwerfällig in den Wagen, kaum war der letzte Fahrgast ausgestiegen und stürzten sich auf einen freien Sitz. Als dann die anderen Passagiere nachkamen, rutschten sie schon hin und her, um sich auf dem Polster einzunisten.
Endlich waren fünf Minuten vorbei.
Fünf Minuten.
Andi Baumer waren sie wie fünf Stunden vorgekommen. Nun wollte er erneut anrufen. Vielleicht war Maja ja nur kurz weg gewesen oder hatte das Telefon grad nicht annehmen können. Jetzt war sie womöglich wieder da. Sicher war sie wieder da.
Sicher.
Es läutete.
Beim siebten Mal knackte es in der Leitung. Adrenalin schoss in seine Adern.
Ein Mann meldete sich. Es war dieser Mann. Dieser Andere. Er informierte Baumer, dass Maja keine Anrufe wünsche von ihm.
Andi hörte sein Blut in den Ohren rauschen. Er sagte irgendetwas, vernahm seine eigene Stimme, eine hohe Stimme, und wie er sich zu entschuldigen versuchte.
Der andere Mann, dieser, dieser Martin, sagte, dass er durchaus Verständnis habe, aber dass er insistieren müsse.
Andi sagte: »Ich verstehe«, weil er wusste, dass er so etwas jetzt sagen musste. Dann sagte er nichts mehr, konnte nichts mehr sagen.
Dieser Andere beendete das Gespräch.
Baumer hielt das Mobiltelefon noch lange ans Ohr. Als er endlich der höhnisch klingenden Piepstöne im Ohr gewahr wurde, senkte er das Handy in Zeitlupe, drückte die rote Taste. Seine Hand zitterte.
Wie um sich zu vergewissern, dass er überhaupt noch lebte, hob er instinktiv das Espressotässchen, führte es zitternd in Richtung Mund. Er sog am Rand der Tasse, doch sie war bereits leer. Verzweifelt kippte er sie stärker, versuchte, den letzten Tropfen Espresso zu erreichen, aber der klägliche Rest dieser köstlichen Flüssigkeit war längst eingetrocknet in der Mittagssonne. Baumer wollte das nicht akzeptieren, schob auf der Suche nach seinem Lebenselixier gierig seine Zunge in das Tässchen.
Es gab nichts mehr zu erhaschen. Baumer sah mit seiner leckenden Zunge nur aus wie ein lallender Irrer.
Schließlich gab er es auf, stellte das Tässchen ab. Da ihm sein Arm kraftlos hinunterfiel, knallte es auf die Untertasse und schreckte die Gäste neben ihm auf.
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