In der Hitze der Stadt
Polizisten wahrgenommen hatte, zeigte sich nur darin, dass sie zu reden begann. »Ja«, sagte sie, und es schien ihm, als könnte eine Porzellanpuppe sprechen. »So kommt es dann.«
Stefan Heinzmann blieb stehen, die Mütze nahm er ab. »Ja«, sagte auch er.
Die Frau lächelte milde, wiederholte: »So kommt es dann.«
Auch Heinzmann legte den Kopf zur Seite.
Clara Werthmüller seufzte, schüttelte sachte ihr Haupt. »Ich wollte es nicht glauben, dass es einmal so weit kommt.«
Stefan Heinzmann sagte nichts.
Ohne ihre Körperhaltung zu ändern, fragte die Frau: »Stimmt es, dass die Mina nicht hat leiden müssen.«
»Das stimmt. Sie hat keine Schmerzen gehabt.«
»Das ist schön. Da bin ich froh.« Dann schien der Lochstreifen, der der Puppe Sprechanweisungen gegeben hatte, durchgerattert. Der Mund der Puppe blieb in halboffener Stellung hängen, die unbeseelte Figur blickte leer.
Heinzmann bekam Gewissensbisse. Was machte er bloß hier?
Helfen ein Verbrechen aufzuklären, gab er sich selbst die Antwort. Also riss er sich zusammen, fragte, was er fragen musste. »Haben Sie einen Verdacht, wer das gewesen sein könnte?«
Es schien, als wäre eine neue Münze in den Automaten geworfen worden, die Puppe sprach wieder. »Es war mein Mann. Er hat das Kind umgebracht.«
Stefan Heinzmann spürte, wie Wut auf diesen bestimmten Mann hochkam. Weil er seit Jahren auf Streife ging, wusste er, wie mit diesem Gefühl umzugehen war. Er bewertete es nicht, postierte es einfach neben sich, als gehöre es nicht ihm. Ruhig und konzentriert stellte er die nächste Frage. »Warum glauben Sie, dass Ihr Mann das Kind umgebracht hat?«
Umgebracht.
Bei diesem einen Wort zitterte die Frau kurz und heftig. Sie ruckte unkontrolliert auf: »Er ist ein Verbrecher.«
Heinzmann bewegte sich nicht. »Warum ist er ein Verbrecher?«, fragte er.
Die Mutter von Mina sank wieder in sich zusammen, bewegte sich nicht mehr. Sie schien gänzlich ohne Leben zu sein, ohne Willen. Nur ein Ding.
Das Valium, dachte Heinzmann. Trotzdem machte er weiter. Musste weitermachen. Er wiederholte deshalb seine Frage. »Frau Werthmüller. Warum denken Sie, dass Ihr Mann ein Verbrecher ist?«
Nach kurzem Moment antwortete die Angesprochene, als ob sie einen ihr unbekannten Text vorlesen würde. »Mein Mann und ich haben aus Liebe geheiratet – wenigstens ich. Aber es ging nicht lange. Mina war noch nicht einmal auf der Welt, da haben die Probleme schon begonnen.« Jetzt zupfte die Frau an den Knien ihre Hose zurecht, schien sich nur noch darauf konzentrieren zu können.
»Welche Probleme meinen Sie damit?«
Clara Werthmüller blickte verstört auf. Wo war sie? Sie sah Heinzmann ins Gesicht, aber zugleich durch ihn hindurch. Dann kniff sie leicht ihre Augen zusammen, schien wieder im Hier zu sein. »Er drohte mir immer«, sprach sie gleichmäßig. »Wenn du mir das Kind wegnimmst, mache ich dich fertig. Das hat er immer gesagt.« Sie bewegte den Kopf langsam hin und her. »Dauernd hat er mir mit Gewalt gedroht. Mina gehöre nicht mir, sondern nur ihm. Es sei sein Kind. Nur sein Kind.«
Heinzmann versuchte den tieferen Sinn in der Aussage der Frau zu erkennen. Ein Streit ums Kind? Wenn das den Vater zu einem Verbrecher macht, gäbe es wohl unzählige Verbrecher in der Stadt. Und wieso sollte er sie umbringen, wenn er doch um sie kämpft? Neigte er zu Gewalt?
»Hat Ihr Mann dem Kind jemals etwas angetan?«
Die Frau blickte entrüstet auf. »Nein! Das hätte ich nie zugelassen.«
Also gab es keine Anzeichen dafür, dass der Vater gewalttätig war. Aber wie kam die Frau dazu, ihren Ehemann als Verbrecher zu bezeichnen?
Sie sagte es dem uniformierten Wachtmeister, ohne dass er fragte. »Mein Mann ist eine Null. Ein Nichts. Eine Luftpumpe. Er will das Kind nach seinem Glauben erziehen und nur nach seinem Glauben. Das werde ich nie zulassen.« Das sagte sie mit einer deutlichen Entschlossenheit in der Stimme, die aber im Körper nicht gespiegelt war. Diese Diskrepanz zwischen Sprache und Körperhaltung führte Heinzmann ebenfalls auf die Wirkung des Beruhigungsmittels zurück.
Der erfahrene Wachtmeister nahm den Gesprächsfaden auf. »Ich habe gesehen, dass Mina ein Kopftuch trägt.«
»Ja«, bestätigte die Frau. »Wenn Mina während der Besuchstage bei ihrem Vater war, musste sie das tragen, auch den Rock. Dann war sie wieder Emine.«
»Sie leben getrennt von Ihrem Mann?«
»Seit einem Jahr. Ich habe es nicht mehr ertragen, wie mein Mann Mina immer
Weitere Kostenlose Bücher