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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Putzmittel im Spital und der Geruch von aseptischem Sterilium, den gewisse Ärzte ebenso ständig mit sich führen wie ihre Arroganz.
    Ohne noch Worte zu verlieren, verließ Heinzmann die Pforte. Alles, was er hätte sagen mögen, hätte die Situation für die Frau nur verschlimmert. Sie riskierte ihren Job für diesen Zettel, auf dem nur eine einzige Zahl stand. Wenn das herauskäme – nicht auszudenken. Dass sie seit 38 Jahren hier im Spital zur Zufriedenheit aller Besucher arbeitete, wäre der neuen Verantwortlichen in der Administration egal gewesen. Frau Dr. iur. Marion Haubensack kannte nur ihre Zahlen. Eine Martina Wander, die ihren Kopf einschaltet, hätte ihre Administrativprozesse nur gestört. Diese Querulantin hätte sie ruck, zuck entlassen. Denn schließlich konnte sie nur mit sauber geführten Büchern glänzen und in der Hierarchie rasch aufsteigen, also genug Geld verdienen, um sich früh pensionieren zu lassen und um endlich, endlich wieder in ihr geliebtes Potsdam zurückkehren zu können.
    Als sich Heinzmann schnellen Schrittes von der Pforte entfernte, fühlte er sich plötzlich, als ob er vergessen hätte, Martina Wander noch etwas Wichtiges zu fragen.

    Nur was?

    Der altgediente Wachtmeister kannte diese Beklemmung. Er spürte sie immer, wenn er glaubte, irgendetwas übersehen zu haben. Er spürte sie als dumpfes Gefühl im Magen. Aber es kam ihm nichts in den Sinn, was es sein könnte. Wahrscheinlich war es nur ein Gefühl.

    Nur ein Gefühl.

    Nichts Wichtiges.

    *
    Auf dem Zettel von Martina Wander stand eine einzige Zahl. 22. Es war die Nummer eines der drei kleinen Krankenzimmer nahe der Notfallstation. Dort konnten sich Patienten hinlegen, die nicht stationär aufgenommen werden mussten, aber doch ein paar Stunden Ruhe brauchten. Diese Räume wurden mit Patienten belegt, die etwa einen Schwächeanfall gehabt hatten und dort wieder zu Kräften kommen konnten.
    In einem dieser Zimmer lag jetzt Clara Werthmüller. Heinzmann war sich bewusst, dass eine unerlaubte Befragung der Mutter von Mina Azoglu jetzt, wo sie in ärztlicher Obhut war, auch ihn in eine schwierige Situation bringen konnte. Der vorgeschriebene Weg war anders. Er müsste mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin reden, sich absprechen, wann ein Gespräch möglich sei. Nur, das Absprechen mit dem Arzt würde einseitig verlaufen. Er oder sie würde ihm diktieren, wann diese Befragung stattzufinden hätte – wenn überhaupt. Heinzmann konnte sich daher denken, was er von einem Halbgott in Weiß hören würde. »Vorerst geht es gar nicht. Kommen Sie am Abend wieder. Dann entscheiden wir, ob die Frau hierbleibt oder nach Hause entlassen werden kann.«
    Also ließ der Wachtmeister diesen Schritt aus.
    Damit auch niemand sah, wie er zum Zimmer 22 ging, benützte er einen Schleichweg. Er kannte die Wege im Spital einigermaßen gut, vermied den Korridor durch die Notfallstation indem er eine Treppe nach oben nahm, dort zwei lange Gänge entlangging. Am Ende des zweiten Korridors begegnete ihm ein Mann im Bademantel und dick einbandagierten Unterschenkeln. Der offenbar erst kürzlich Operierte führte rote Pusteln im Gesicht und eine Tropfflasche an einem Rollgestell spazieren. Als der Kranke den Uniformierten sah, hob er seine in der hohlen Hand versteckte Zigarette verängstigt an den Mund und machte hastig ein paar letzte Züge. Als der Wachtmeister ihn aber links liegen ließ, schnaufte der Patient erleichtert aus, schloss seine Augen und sog wieder traumverloren an seiner Parisienne Extra Mild.
    Heinzmann nahm eine Treppe nach unten, kam wieder ins Erdgeschoss. Zwei Gänge entlanggehen und er war vor Zimmer 22.
    Der Wachtmeister schaute rechts und links, keine weiße Taube unterwegs, niemand hatte ihn gesehen. Also klopfte er kurz und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Im Zimmer war nur die Mutter. Der Vater ist offenbar schon wieder weg, folgerte Heinzmann.
    Clara Werthmüller saß angekleidet, aber ohne Schuhe auf dem Bett. Die zwei obersten Knöpfe ihrer Bluse waren offen, ihre Sommerschuhe standen am Bettende fein säuberlich untergestellt. Die Frau hielt ihren Kopf leicht gesenkt und geneigt, sie lächelte milde. Ihre Hände waren geöffnet ineinandergelegt. Clara Werthmüller sah aus wie eine Madonna auf einem Raffael, einzig, dass sie kein Kind in den Armen trug, sondern nur ein durchnässtes Taschentuch in ihren Händen hielt.
    Als Heinzmann eingetreten war, hatte sie nicht aufgeschaut. Dass sie den

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