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In der Kälte der Nacht

In der Kälte der Nacht

Titel: In der Kälte der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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angepriesen wurden. Gleich würde sich die Dose Schaum in Bewegung setzen, dann der Pinsel in der Schale und so fort. Der Tanz konnte beginnen. Paul wandte sich von der Kommode ab und trat ans offene Fenster. In der Ferne waren die Berge zu sehen, grün und großartig, eingehüllt von den purpurnen Schatten der Wolken. Im Vorgebirge waren Gruppen von Ulmen und Tannen zu erkennen. Der kleine Ort lag im Tal. Das Rascheln der Birken auf der Hauptstraße war zu hören. Einige Leute waren zu sehen. Einheimische. Die Männer in kurzärmeligen Hemden, die Frauen im bunten Sommerkleid. Pauls Blick streifte das Reklameschild für Edison's General Store, dessen obere Kante bis an die Fensterbrüstung heranreichte. Er trat einen Schritt zur Seite, um sich in der Fensterscheibe zu betrachten. Ein Mann mittlerer Größe, weder dünn noch dick. Volles, braunes Haar, kurzgeschnitten. Die Art von Haarschnitt, wie sie die jungen Männer heutzutage trugen. Ihm stand das. Seine Augen waren blau, als seien sie aus einem Hollyw00d-Himmelszelt ausgeschnitten worden. Es gab einen bitteren Zug um den Mund. Verlust, Entsagung, Niederlage. Das Gesicht war schlank, oval, fast das Antlitz eines Aristokraten. Aber die Haut war von gesunder Farbe, war gebräunt. Ein Mann, der keinen Hochmut kannte. Jemand, der sich in eleganter Umgebung wohl fühlte und in einer Hafenbar. Er trug Bluejeans, ein hellblaues Arbeitshemd und Stiefel. Trotzdem sah er sorgfältig gekleidet aus. Fast formell. Die Ärmelaufschläge seines Hemds waren penibel gebügelt, der offene Kragen sah gestärkt aus. Die Gürtelschnalle blitzte, als sei sie aus giebig gewienert worden. Das Hemd war ein Maßhemd, und die Jeans waren auf Maß gearbeitet. Paul Annendale war ein sehr ordentlicher Mensch. Schon in früher Jugend war er von den Freunden damit aufgezogen worden. Paul war der Junge, der nach dem Spielen sein Spielzeug aufräumte. In seinem Zimmer sah es sauberer aus als im Rest des Hauses. Vor drei Jahren war seine Frau gestorben. Annie. Sie hatte ihn mit den beiden Kindern in einer Einsamkeit zurückgelassen, die Paul nicht verstand. Aus irgendeinem Grunde suchte er die Sache durch gesteigerte Ordnungsliebe auszubügeln. Es war an einem Mittwochnachmittag, und Paul Annendale befand sich in seiner tierärztlichen Praxis, als er erkannte, daß seine Ordnungsliebe in Wirklichkeit ein Ventil war. Eine Flucht aus der Wirklichkeit. Zum siebentenmal innerhalb von zwei Stunden hatte er den Schrank mit den Instrumenten aufgeräumt. Er brach in Tränen aus. Zehn Monate waren vergangen seit Annies Tod. Es war das erste Mal, daß er sich gehen ließ. Er hatte seinen Gram vor den Kindern verheimlicht. Aber jetzt weinte er, er schluchzte und wand sich in den Schmerzen, die der Tod ihm zugefügt hatte. Er war ein Mann, dem nie ein Fluch über die Lippen kam, aber jetzt fluchte er. Er verfluchte Gott und die Welt. Nach jenem Gefühlsausbruch war die Ordnungsliebe auf ein annähernd normales Maß zurückgegangen. Nach wie vor gab es Leute, die an Pauls penibler Art Anstoß nahmen. Es gab andere, die sein Verhalten als liebenswürdige Eigenart empfanden. Ein Klopfen an der Tür. Er drehte sich um. »Herein.« Rya kam herein. »Es ist sieben, Papa. Zeit zum Abendessen.«
    Sie trug verwaschene Jeans und ein weißes T-Shirt. Das Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Wie ihre Mutter, dachte er. Sie hat das dunkle, schöne Haar ihrer Mutter. Und jetzt hielt sie auch noch den Kopf schief, wie Annie es getan hatte, wenn sie seine Gedanken zu ergründen suchte. »Ist Mark schon umgezogen?« fragte er. »Mark war schon vor einer Stunde fertig«, sagte Rya fröhlich. »Er ist bei Sam in der Küche und versucht ihn am Kochen zu hindern, so gut es geht.«
    »Dann müssen wir uns beeilen. Wie ich Mark kenne, wird er alles aufessen, bevor Sam es auftragen kann.« Sie trat einen Schritt zurück und musterte ihn von oben bis unten. »Du siehst fantastisch aus, Paps.« Er grinste und kniff seine Tochter in die Wange. Die Wortwahl amüsierte ihn. Fantastisch. Wenn Rya mit Mark sprach, sagte sie: Du siehst super aus. Er, der Vater, war ein Erwachsener, er mußte also mit dem Wortschatz der Erwachsenen angeredet werden. Er war fantastisch. »Meinst du?«
    »Jenny wird dir nicht widerstehen können, so wie du aussiehst, Paps.« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Wirklich nicht.«
    »Wie kommst du darauf, daß mir Jenny etwas bedeutet?« Behandle mich nicht wie ein Kind, sagten ihre Augen. »Weil ich euch

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