In der Kälte der Nacht
was ich wissen möchte. Ich bin in der Pubertät. Ich bin ein Spielball meiner Gefühle.«
»Dann hat sie den Trick mit dir wohl auch schon versucht.«
»Sehr oft.«
»Und du bist drauf reingefallen?«
»Jeder fällt drauf rein.«
»Sie hat mir so leid getan, Paul. Sie hatte tausend Fragen ...«
»Natürlich alles Fragen, die mit der Liebe zwischen Mann und Frau zu tun haben.« Jenny fuhr sich über die Stirn, ihr Haar schwang zur Seite. »Jedenfalls habe ich alle ihre Fragen beantwortet. Zum Schluß habe ich dann herausgefunden, daß sie mich das alles nur gefragt hat, weil sie mir von dir und deiner verstorbenen Frau erzählen wollte.«
»Von Annie?«
»Von Annie. Sie sagte, ihre Mutter hat ihr verraten, du bist ein fantastischer Liebhaber.« Paul schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr dann gesagt, ich kann mir gar nicht vorstellen, daß deine Mutter so etwas gesagt haben soll. Wie alt sie denn damals war, habe ich sie gefragt. Und sie hat gesagt, sechs, sie war sechs, aber sie sei eben damals schon frühreif gewesen.« Er mußte lachen. »Du solltest ihr das nicht übelnehmen«, sagte er nach einer Weile. »Sie veranstaltet das alles doch nur, weil sie dich lieb hat. Sie mag dich, Mark mag dich, und ich mag dich auch.« Sie starrte in ihr Glas. »Hast du in der letzten Zeit ein gutes Buch gelesen?« Er trank von seinem Scotch. »Ich weiß, ich bin ein lieber Mensch, und deshalb muß ich jetzt sofort das Thema wechseln.« Sie ließ ihn ihre Brüste spüren. »Erraten.« Jenny Leigh Edison haßte den Gedanken an eine neue Heirat. Sie war nicht das, was man eine Romantikerin nennen konnte. Als sie
ihre erste Ehe schloß, war sie auf einen Mann gestoßen, der weder lernen noch arbeiten wollte, zugleich aber Anspruch auf Ruhm und ein hohes Einkommen erhob. Die Jahre verstrichen, ohne daß es ihm gelungen wäre, die Wirklichkeit mit diesem Anspruch in Übereinstimmung zu bringen. Er fand einen Schuldigen für seine Mißerfolge. Seine Frau. Sie war schuld, daß er keine richtige Band zusammenbekam. Sie war schuld, daß er keinen Vertrag bei einer Plattenfirma bekam. Sie war ein Klotz an seinem Bein. Sieben Jahre lebten sie von dem, was Jenny als Barpianistin verdiente. Eines Tages machte sie den Vorschlag, es sei besser auseinanderzugehen. Er beschuldigte sie, sie wolle ihn im Stich lassen. Er drohte ihr, er würde ihr den Hals durchschneiden, wenn sie ihr Vorhaben wahrmachte. Sie reichte die Scheidung ein. Die Scheidung wurde ausgesprochen. »Liebe genügt nicht für die Ehe«, sagte sie, als sie mit Paul über jene Jahre sprach. »Es gehört mehr dazu. Vielleicht Achtung voreinander, ich bin nicht sicher. Ich werd's herausfinden, Paul. Solange ich es nicht weiß, kriegen mich keine zehn Pferde wieder vor den Traualtar.« Er hatte das Thema gewechselt. Sie sprachen über Glenn Miller und seine Musik, als Bob und Emma Throp aufkreuzten. »Hello«, sagte Bob, und Emma grinste. Sie standen vor der Nische. Bob Thorp war der Polizeichef von Black River, ihm unterstanden vier Beamte. Normalerweise hätte für einen Ort von dieser Größe ein einziger Beamter genügt. Aber da gab es das Holzfällercamp, das zum Sägewerk der Big Union gehörte. Die Männer kamen in die Ortschaft, da brauchte man schon ein paar Beamte mehr, die für Ordnung sorgten. Das Sägewerk zahlte die Beamten. Bob war ein vierschrötiger Mann, über sechs Fuß groß, mit niedriger Stirn und tiefliegenden Augen. Bob wog 200 Pfund. In der Armee war er Militärpolizist gewesen. Er sah gefährlich aus. Gefährlich und dumm. Aber dumm war er nicht. Bob schrieb eine amüsante Spalte für das Wochenblatt, das in Black River herauskam, eine Spalte, die genausogut in irgendeiner größeren Zeitung hätte stehen können.
Emma Thorp war 35, sie war die schönste Frau von Black River, blond, mit grünen Augen und von einer erotischen Ausstrahlung, die ihr - das war jetzt zehn Jahre her - zu einer Plazierung im Schönheitswettbewerb für Miß USA verhelfen hatte. Sie war die einzige Persönlichkeit des kleinen Ortes, die je über einen Kreis von zwanzig oder dreißig Kilometern hinaus bekannt geworden war. Der Sohn des Paares war in Marks Alter. Die beiden waren Freunde, Jeremy durfte jedesmal, wenn die Annendales zum Urlaub anrückten, zwei oder drei Tage im Zelt schlafen. Mark mochte Jeremy. »Ferien?« fragte Bob. »Wir sind gerade erst angekommen.«
»Wir würden Sie bitten, sich etwas zu uns zu setzen«, sagte Jenny, »aber Paul hat Angst, daß er mit
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