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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Käßmann
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zurück aus der Wüste, lasse diese dämonischen Stimmen hinter mir und kann meinen Weg gehen: meinen Weg auf Gottes Wegen. Mit anderen Menschen an meiner Seite.
    Eine Journalistin fragte mich kürzlich im Interview, ob meine Krebserkrankung für mich eine Wüstenerfahrung gewesen sei. Nein, habe ich gesagt, die Krebserkrankung nicht. Da sind mir Wellen der Sympathie entgegengeschwappt. Mitleid, Betroffenheit, Angst vor Verlust, Zuneigung – in vielen Briefen und Blumensträußen wurde das bekundet und es hat mich sehr berührt.
    Eine Wüstenerfahrung habe ich gemacht, als meine Scheidung öffentlich wurde. Einerseits waren da »Engel«, die mich getragen haben, meine Töchter, mein allernächstes Arbeitsumfeld in der Kanzlei, im Landeskirchenamt, im Bischofsrat, im Senat der Landeskirche. Aber es gab auch die Einsamkeitserfahrungen – Zurückweisung, Häme, Giftspritzen ohne Absender, Leserbriefe ohne Barmherzigkeit, die Freude am »tiefen Fall« eines Menschen, eine Lust geradezu an der Herabsetzung. Es gab dieses Gefühl, beobachtet zu werden: Hält sie durch oder nicht? Das ist überhaupt nicht erquicklich. Eine Wüstenerfahrung war das auch, weil ja nicht im Vorhinein klar ist, wie weit die Kraft trägt. Kann ich standhalten oder werde ich doch flüchten? Ertrage ichdiesen Zugriff der Öffentlichkeit, die meint, mein Privatleben abschließend beurteilen zu können oder entziehe ich mich, gehe weg, trete die Flucht an in die USA oder in ein ganz anderes Leben … Ich habe standgehalten, weil andere mir den Rücken gestärkt haben. Wüstenerfahrungen muss ein Mensch letzten Endes wohl immer allein durchstehen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, sie zu bestehen ohne das Wissen um Menschen, die zu mir halten und wie eine Oase in der Wüste für mich sind.
    Und nicht ohne meine Verwurzelung in meinem Glauben. Wenn heute viele auch gern mit Häme auf Menschen sehen, die sich im Glauben beheimatet wissen, wie
Karen Duve jüngst im »Spiegel« 37 , so spüren sie nichts von dem, was Glaubende hält und trägt, denke
ich. Glaube ist, so sagt es Martin Luther, ein tiefes Vertrauen. Das lässt sich nicht verkaufen, nicht verordnen, kaum erzählen, sondern nur erfahren
und erleben.
    Gelernt habe ich in den Wüstenerfahrungen einerseits eine gewisse Ernüchterung, auch Demut: Ich habe nicht alles im Griff, nicht alles ist machbar oder
kann selbstbestimmt geregelt werden. Das gilt auch für die Erfahrung, zu erleben, wie Menschen mich abstempeln, beurteilen, sich freuen an meinem
Scheitern; das war neu und auch bitter für mich. Und gleichzeitig habe ich erlebt, wie andere mir zur Seite stehen, von denen ich es kaum erwartet
habe. Das gehört vielleicht zu den überraschendsten Erfahrungen in der Mitte des Lebens, dass Menschen auch im positiven Sinne anders sein können, als
ich es erwarte. Und dass ich erlebe, wie andere sich an mir festhalten, weil sie selbst mitten im Sturm stehen.
    In den Wüstenzeiten unseres Lebens kommen wir ans Ende unserer Kraft. Aber aus solchen Zeiten der Klärung können wir eben auch gestärkt hervorgehen,
uns neu orientieren und mit frischem Mut nach vorn weiterleben.
Gärten bewässern
    Gott, der Herr, pflanzte einen Garten in Eden, im Osten, und setzte
    den Menschen hinein, den er gebildet hatte. 38
    Die Mitte des Lebens ist ganz gewiss nicht eine einzige Wüste. Sie bringt auch Erfahrungen des Glücks mit sich, der Freiheit, der
Weisheit durch Erfahrung. Der Garten ist ein schönes Symbol dafür, finde ich. Ein neu angepflanzter Garten ist ja auch mit viel Anstrengung
verbunden. Aber ein Garten, der schon länger da und bepflanzt ist, atmet etwas von Geborgenheit. Pflegen und wässern müssen wir ihn allerdings auch. Das
gilt so sicher auch für unseren Lebensgarten in der Mitte des Lebens. Wir können nicht davon ausgehen, dass alles jetzt gut ist, wie es ist, oder auch
schlecht ist, wie es ist, jedenfalls einfach nur so bleiben muss. Auch wenn vieles bereits fest gepflanzt ist, braucht es das Bewässern, kann plötzlich
und manchmal ganz überraschend Neues aufblühen und muss auch hier und da mal ein alter Strauch oder ein wucherndes Unkraut entfernt werden.
    Gärtnern ist ganz offensichtlich eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der modernen Gesellschaft. Auch wenn viele es sich gar nicht so klar machen – Gärtnern ist eine Aktivität, die Menschen glücklich macht. Der Duft regennasser Erde, taufeuchtes Gras und blühende Blumen, das Wachsen des Gepflanzten – im Garten

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