In der Mitte des Lebens
Bundestafeln übergeben werden.
Wüstenzeit ist Zeit der Stille und Möglichkeit zum Hören auf die eigene Stimme tief drinnen, die sonst so leicht übertönt wird. Und sie ist eine Chance, neu zu hören auf Gott und das, was er zu sagen hat.
Jesus geht in die Wüste, freiwillig. Nein, nicht wirklich freiwillig: Der Geist führt ihn dorthin, heißt es. Ein Geführter. Ein Getriebener? Er setzt sich einer extremen Erfahrung aus. Ob er klären will, welches die richtigen Weichenstellungen für sein Leben sind? Nach der Wüste wird er öffentlich predigen, das Reich Gottes verkündigen. Er wird die Kraft haben, seinen ganz eigenen Weg zu gehen. Die Wüste wird zum Ort der Klärung der eigenen Berufung, zum Ort der Bewährung. Jesus hat das gewusst. Das Volk Israel hat es erlebt. Wüstenzeit lehrt, worauf es ankommt. Da wird das Stück Brot zum Leben und der Schluck Wasser zumGenuss. Und tief drinnen spürt der Mensch: Es kommt darauf an, dass ich meine Seele nicht verliere. Meine Seele, meine Mitte, meine innere Balance. Denn was immer der Mensch auch durchmacht, seine Seele ist in ihm und sucht nach Leben und nach der lebendigen Beziehung zu Gott. In der Wüste! Und im Leben, das manchmal Wüste ist.
Jesus wird in die Wüste geführt, um Klarheit zu finden. Er muss verstehen, was sein Auftrag ist. Er geht bewusst, findet sich nicht einfach dort vor. Jesus sieht sich vom Geist geführt, von der Geistkraft. Er versteht, dass er diesen Weg in die Wüste alleine gehen muss, um die innere Klärung zu finden und die Kraft für seinen Auftrag. Anfang dreißig war Jesus bei dieser Erfahrung, aber sie steht gut für die notwendigen Klärungen in der Mitte des Lebens, die jeder und jede für sich allein finden muss.
Diese Einsamkeit auf der Suche nach dem eigenen Weg beschreibt Hilde Domin auf wunderbare Weise in einem Gedicht. Es hat mich auf einer Wüstenstrecke meines Lebens begleitet und ist mir wichtig geworden, weil es um die Wüste weiß, aber auch die Möglichkeit der Veränderung und der Erneuerung, die immer keimt.
Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.
Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.
Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.
Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt den der Fuß
noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich umdrehn
hilft nicht. Es muss gegangen sein.
Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch, wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade
nicht leben können:
die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags,
du bläst sie lächelnd aus
wenn du in die Sonne trittst
und unter den blühenden Gärten
die Stadt vor dir liegt,
und in deinem Hause
dir der Tisch weiß gedeckt ist.
Und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
dir das Brot brechen und den Wein reichen –
und du ihre Stimmen wieder hörst
ganz nahe bei deinem Herzen. 36
Jesus tritt am Ende wieder heraus aus der Wüste. Er findet die innere Kraft für seinen Weg. Er überwindet das Dunkel, er hört wieder
die Stimmen der verlierbaren Lebenden und der unverlierbaren Toten. Sie brechen ihm Brot und reichen Wein.
Und eines Tages wird er wieder allein sein. In Gethsemane. Und schließlich auch am Kreuz. Und gerade so wird er für uns zu dem, der die Gnade und das
Wunder spürbar werden lässt. Er istdas Licht, das uns die Angst nimmt, uns die Kerze ausblasen lässt. Der uns Brot und Wein
reicht. Für unseren Weg. Als Wegzehrung. Wir bleiben nicht allein, sondern feiern miteinander und mit dem Auferstandenen, wenn wir Brot und Wein
teilen. Als Fest des Lebens. Zu seinem Gedächtnis.
»Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm« (Matthäus 4,11) – mit diesen Worten endet der Abschnitt über die Wüstenerfahrung Jesu. Andere werden ihm zu Engeln auf dem Weg. Tröstlich. Jesus hat das Schlimmste – vorerst – überstanden. Jetzt kann er neue Kraft schöpfen. Engel sorgen für ihn. Vielleicht sind es Menschen, die ihm in der Wüste etwas zu essen und zu trinken geben. Er spürt: Die Kraft kommt zurück. Auch das ist ja eine Lebenserfahrung mit fünfzig: Es gibt nach tiefen Tälern neue Anfänge. Ich komme
Weitere Kostenlose Bücher