In der Mitte des Lebens
Blüten ist für mich eine Weise, mich zu erinnern, Abstand zu
finden vom Getriebe, ja fast eine Art Meditation. Dazu braucht es Ruhe und Gelassenheit. Oft habe ich in einer Woche ja nur den Sonntagnachmittag
frei. Dann im Garten zu sein, die Rosen zu bewässern und zu beschneiden, ist für mich ein wunderbares Ritual. Nein, das bedeutet keineSonntagsarbeit, das ist innere Ruhe, Entspannung, Kraft schöpfen. »Seht die Lilien auf dem Felde«, 39 sagt Jesus. Die Schönheit der Natur sehen, sich an ihr freuen, das ist Teil unseres Lebens. Ich möchte den Blick nicht verlieren für das
Schöne, das Besondere, das oft auch im Unscheinbaren daher kommt. Gärten und ihre Blumen sind ein wunderbares Symbol dafür.
Dass ich Blumen sehr mag, hat sich inzwischen herumgesprochen. Und so erhalte ich für einen Vortrag oder eine Predigt oft einen Strauß als
»Honorar«. Kürzlich hatte ich fünf solche Ereignisse in einer Woche, meine Kanzlei war ein Blütenmeer, und alle Besucher fragten erschrocken, ob sie
irgendetwas nicht mitbekommen hätten, gab es einen Geburtstag, war da ein Jubiläum? Ich mag es, am Schreibtisch zu sitzen und Blumen um mich zu
haben. Die stolzen Lilien, die bunten Tulpen, die erhabenen Rosen, die kleinen Christrosen. Sie zeigen etwas von der Schönheit der Schöpfung –
natürlich auch von ihrer Vergänglichkeit. Das macht ihr Blühen aber noch kostbarer. Manchem Strauß trauere ich nach, wenn er nicht mehr zu halten ist …
Dieses Thema und das ganze Kapitel »Gärten wässern« entstand aus einem Gespräch über die »Mitte des Lebens« mit einer Frau, die acht Jahre jünger ist als ich und fröhlich ohne Ehepartner und ohne Kinder lebt. Ja, die Kinderfrage hat auch sie lange umgetrieben. Das ist wohl bei allen Frauen in der Mitte des Lebens so. Ich kenne inzwischen viele Frauen, die den richtigen Partner nicht gefunden haben, nicht den Zeitpunkt oder die einfach nicht schwanger wurden, als sie es wollten. Mir ist wichtig, dass das heute nicht mehr als Mangel gesehen wird. Als ich das Buch über die »Mütter der Bibel« schrieb, wurde mir noch einmal bewusst, wie sehr das Mutter-Sein die Frauen in der Bibel bestimmt. Welche Rolle nimmt eine Frau ohne Kinder ein in unserer Gesellschaft, unserer Kirche? Sie entspricht in keiner Weise mehr dem Bild einer armen Frau, die »keinen abgekriegt« hat, wie das noch vor dreißig oder vierzig Jahren gesehen wurde. Allein zu leben, das ist eine Lebensform, die übrigens auch im Beruf des Pastorsbeziehungsweise der Pastorin inzwischen wieder eine größere Rolle spielt. Als evangelische Kirche beginnen wir gerade erst, das hinreichend wahrzunehmen, ist doch das Berufsbild oft sehr stark von der »Pfarrfamilie« bestimmt. Was es heißt, dass Frauen und Männer allein leben, wird sich auch auf das evangelische Pfarrhaus auswirken, davon bin ich überzeugt.
»Wer allein lebt, hat meist auch ›Kinder‹«, sagt meine persönliche Referentin, und ich denke, sie hat recht. Es gibt einen Teil von Freiheit von familiären Verpflichtungen, der in Verantwortung umgesetzt wird. Menschen ohne biologische Kinder engagieren sich oft auf den unterschiedlichsten Gebieten. Sie schaffen neue Formen von Familie. Das wird umso wichtiger, als traditionelle Familien immer kleiner werden. Da feiern Singles in großer, fröhlicher Runde Weihnachten, gehen zusammen in den Gottesdienst, kochen miteinander, beschenken sich. Viele Singles üben früher ein, was Menschen, die als Paar oder mit Kindern leben, später und oft erst schwer lernen müssen. Eine Frau schreibt mir: »So, wie ich mein Leben jetzt schon anders, eben in vielen Teilen single lebe, so werde ich es auch im Alter tun, so Gott will und ich einigermaßen gesund bleibe. Ich werde auch mit 70 hoffentlich noch Projekte ausbrüten und gebären, zum Laufen bringen und dann gehen lassen.«
Frauen kennt die Kirchengeschichte vor allem in zwei Extremen, und immer hatten die Bilder mit den Beziehungen der Frauen zu den Männern zu tun – sie waren Hure oder Heilige. Da ist Eva, die »Verführerin«, Maria aus Magdala, die mit der Frau identifiziert wurde, die Jesus die Füße salbte – sie werden in der Fantasie zu den großen Sünderinnen stilisiert, die sie so nie waren. Wer die Geschichte Evas nachliest, sieht, dass es bei der »Verführung« überhaupt nicht um Sexualität ging, sondern um die Tatsache, dass sie neugierig war im besten Sinn auf die Möglichkeiten, die über das Bisherige hinausgingen, dass sie
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