In der Mitte des Lebens
4,1.
36 Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, © S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1987.
37 Vgl. Karen Duve, Welt ohne Gott, DER SPIEGEL 14/2009, S. 142.
38 1. Mose/Genesis 2,8.
39 Matthäus 6,28.
Beziehungen schätzen
Wenn wir älter werden, lernen wir besser schätzen, was wir an unseren Beziehungen haben. Da scheinen viele Themen auf: Große
Dankbarkeit kann sich zeigen in der Partnerschaft, wenn meine Ehe sich auch über Krisen hinweg als stabil erwiesen hat und Vertrauen nicht zerstört
wurde, sondern wächst. Da kann aber auch der Schmerz sein, eine Partnerschaft oder Ehe zu beenden, weil sie nicht lebbar ist, weil zwei nicht mehr
aneinander wachsen, sondern sich gegenseitig nur kleiner machen. In der Mitte des Lebens geht es darum, alte Freundschaften zu feiern, weil wir besser
wissen: Es ist gar nicht so einfach, neue Freundschaften zu schließen, mit all dem Gepäck, das wir in unserem Leben mitschleppen. Und da sind das Glück
und die Freude, wenn wir neue Menschen finden auf unserem Weg, wenn wir so mittendrin in unserem Leben auf Seelenverwandte treffen, mit denen wir weiter
unterwegs sein können.
Die Partnerschaft pflegen
Isaak brachte sie in sein Zelt. Er nahm Rebekka
und sie wurde seine Frau. Isaak gewann sie lieb. 40
Mich rührt oft an, wie die biblischen Geschichten, die ja alle in einem patriarchalen Umfeld spielen, von Liebesgeschichten
erzählen. Ein Knecht erhält den Auftrag, Isaak eine Frau zu suchen.Er findet Rebekka. Ihre Familie zögert, aber sie hat den Mut, in ein
fremdes Land zu einem fremden Mann zu gehen, weil die Geschichte, die der Knecht erzählt, sie anrührt. Und dann gewinnt Isaak »sie lieb«. Die beiden
werden zwei Söhne haben, Zwillinge, jeder der Liebling eines Elternteils; aber das ist eine spätere Geschichte. Isaak und Rebekka sind ein Paar, das bis
ins hohe Alter auch über Spannungen hinweg zusammenbleibt.
Als sich kürzlich ein Mann einem Gremium zur Wahl stellte, sagte er im Hinblick auf seine biografischen Daten, er sei seit 31 Jahren mit derselben
Frau verheiratet. »Das muss kein Vorteil sein«, raunte mein Sitznachbar. Fast zynisch klang das, und ich erschrak darüber, weil er sonst nicht zu solchen
Bemerkungen neigt. In der Tat: Für viele ist die eigene Partnerschaft das zentrale Spannungs- und Konfliktfeld der Lebensmitte. Wenn zwei sich jung
gefunden haben, dann ist in der Lebensmitte eine Krise nahezu normal. In der Regel funktioniert eine Partnerschaft oder Ehe heute weitestgehend
partnerschaftlich bis zur Geburt des ersten Kindes. Sobald aber das erste Kind geboren ist, folgt oft ein Rückfall in traditionelle
Geschlechtsrollenmuster, der die Partnerschaft massiv belasten kann. Eine Studie aus Allensbach hat herausgefunden, dass die Bereitschaft von Männern,
ihren Anteil an der Hausarbeit zu übernehmen, schon bei der Eheschließung um die Hälfte sinkt. Sobald ein Kind geboren ist, reduziert sich die
partnerschaftliche Beteiligung der Männer auf jeden Zehnten, bei der Geburt des zweiten Kindes auf jeden Vierzehnten! Kinder sind bei allem Glück, das sie
bedeuten, auch Krisenfaktoren für die Partnerschaft. Elternsein, das ist eine ganz besondere Herausforderung! Und zwar eine lebenslängliche … Das
Elternsein ist eine zentrale »Ortsbeschreibung« für viele in der Lebensmitte: Sie sind nicht mehr jung und ungebunden und noch nicht alt und
ungebunden. Mir scheint, dass die Erziehungsnöte und -fragen, die Konflikte in der Erziehung, die Menschen in diesem Alter so existenziell beschäftigen,
oft unterschätzt werden. Seit ich einen persönlichen Beitrag geschrieben habe, welche Konflikte undFreuden, Anfechtungen und
Überraschungen ich selbst mit meinen vier Kindern erlebe und durchstehe, erreichen mich immer wieder Briefe, in denen Eltern ihre Zerrissenheit, ihre
Versagensängste und auch Demütigungen beschreiben. Das ist wahrhaftig ein weites Feld. Dabei sind Alleinerziehende einer besonderen Belastung
ausgesetzt. Wer Kinder erzieht, wird mit den großen Fragen des Lebens konfrontiert. Kinder können tiefschürfend fragen, Jugendliche erbarmungslos
kritisieren. Da müssen sich die Erziehenden ihrer Fundamente schon sehr sicher sein. Und wie die erste Partnerkrise mit dem ersten Kind fast schon normal
ist, so folgt spätestens eine weitere mit dem Weggang des oder der Kinder. Plötzlich wird aus der Familie wieder ein Paar.
Die christlichen Kirchen betonen, dass sie am Leitbild von Ehe und Familie
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