In der Mitte des Lebens
intellektuell angeregt war, nachdenken wollte.
Und Maria aus Magdala war eine mutige Frau: Sie blieb unter dem Kreuz bei dem sterbenden Jesus, als alle anderen aus Angstschon gegangen waren. Sie geht zum Grab um ihn, den Mann, den sie geliebt und verehrt hatte, zu salben. Sie wird nach den Evangelien vom Auferstandenen als Erste in die Verkündigung geschickt.
Das andere christliche Bild der allein lebenden Frau ist die Heilige, und am besten aufgehoben ist sie im Kloster, ganz so auch, wie Maria in der katholischen Tradition gesehen wurde: danach bekam sie nach Jesus keine weiteren Kinder (obwohl das in der Bibel steht) und lebte keusch und zurückgezogen, ganz die heilige mütterliche Jungfrau und später trauernde Mutter.
Dieses Bild ändert sich deutlich. Immer mehr Frauen leben allein. Und in unserem Jahrtausend können sich viele in den westlichen Industrienationen das nun auch leisten. Sie haben ein eigenes Einkommen, eine eigene Rente, eine eigene Wohnung. Das ist ein völlig neues Lebensmodell für Frauen. Als eine Freundin von mir kürzlich ihrer Mutter sagte, dass eine Ehescheidung für sie offenbar unvermeidlich sei, meinte diese: »Aber in deinem Alter findest du doch keinen Mann mehr!« Eine Frau ohne Mann passte nicht in ihr Bild – einen Mann »haben« war für die Frau immer eine Frage des Status, und eine unverheiratete Frau irgendwie defizitär.
Dass Frauen allein leben und damit glücklich sein können, dass Frauen keine Kinder haben und trotzdem Mütterlichkeit leben können, das wird erst allmählich akzeptiert … Ich denke auch an das Engagement von Frauen an den unterschiedlichsten Orten. In einem »Fairkauf«-Kaufhaus habe ich eine Frau kennengelernt, die in ihrem Erwerbsleben Verkäuferin war, jetzt pensioniert ist und ihre Zeit wie ihre Erfahrung dieser diakonischen Einrichtung mit viel Liebe zur Verfügung stellt. Sie ist es, die genügend Geduld hat mit der etwas schwierigen Azubi und ihr den Weg in die erfolgreiche Ausbildung ebnet. Sie ist es, die oft das richtige Gefühl dafür hat, wie die Ware anzuordnen ist und wer was braucht. Sie wässert einen Garten, sie hat neue »Kinder«. Und ohne Menschen wie sie wäre das soziale Gewebe, das unser Land zusammenhält, noch viel löcheriger. Mehrgenerationenhäuser sind ein anderes Beispiel fürneue und andere »Familienbeziehungen«: Da erzählen alte Menschen Kindern Märchen. Da erhalten junge Mütter wichtige Ratschläge von alten Müttern. Da treffen sich Menschen ohne Angehörige am Ort mit anderen, die zu ihren Angehörigen werden über Generationen hinweg. Mit dem sich wandelnden Familienbild werden solche Treffpunkte, Orte des Miteinanders, des geselligen Lebens immer wichtiger.
Das gehört zur Mitte des Lebens: Wir haben Erfahrungen gemacht, die wir weitergeben können. Bestimmt nicht zwanghaft. Es ist immer eine Belastung für die jüngere Generation, wenn die Ältere meint, ihre Erfahrungen seien entscheidend, ja wegweisend, wenn Erfahrungen aufgedrängt werden. Jede Generation muss ihre eigenen Erfahrungen machen. Aber ein offenes Ohr zu haben, das ist eine besondere Leistung und Gabe. Wie viele sehnen sich nach einem Menschen, der zuhört und Rat geben kann, ohne diesen Rat aufzudrängen. Lebenserfahrung ist ein Angebot, keine Pflichtlektüre.
Dies war ein weiter Bogen von biblischen Paradiesgärten über reale Gärten bis zu den Gärten unseres Lebens und unserer Gesellschaft. An dem Bild lässt
sich wunderbar weiterdenken in der Mitte des Lebens, finde ich. Die Sehnsucht nach dem Paradies ist vielleicht etwas überdeckt, aber nicht
erloschen. Und sie wird lebendig, weil plötzlich eine neue Liebe auftaucht, eine neue Aufgabe sich zeigt, weil Überraschendes passiert – und dann kann
die Erfahrung des Neuen und die Sehnsucht nach dem Vollkommenen viel Kraft freisetzen, sich für bessere Zustände auch schon hier und jetzt
einzusetzen. Dafür gibt es in der Mitte des Lebens meist auch emotional stabile Räume, das schon Bepflanzte im Lebensgarten schafft einen »sicheren«
Rahmen für das Neue. Wichtig ist, nicht zu vertrocknen, sondern offen zu sein für das Neue und keimen und aufblühen zu lassen, was blühen will und
kann.
34 Teile dieses Abschnittes sind meiner Bibelarbeit auf dem Deutschen
Evangelischen Kirchentag in Köln am 7.6.07 entnommen. Der vollständige Text ist abgedruckt in: Deutscher Evangelischer Kirchentag Köln 2007,
hg. v. Silke Lechner und Christoph Urban, Gütersloh 2007, S. 51ff.
35 Matthäus
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