In der Mitte des Lebens
jemand sie angefasst habe, über ihre Haut strich. Sich umarmen und
berühren, zärtlich zueinander sein, das gehört zum Leben. Mir ist bewusst, dass das Christentum diese Dimension oft verachtet, ja sie geradezu als
»sündig« angesehen und manche Menschen damit schwer belastet hat. Biblisch gesehen kann ich das nicht nachvollziehen, da ja Körperlichkeit und
Sinnlichkeit durchaus biblische Dimensionen sind – das vorne erwähnte Hohelied (s. S. 36f) ist ein sprechendes Beispiel!
Vielleicht ist es in der Mitte des Lebens besser möglich, bewusster und auch offener mit dem eigenen Körper, den eigenen Wünschen
umzugehen, als das in jungen Jahren der Fall war. Jeder Mensch hat doch ein Grundbedürfnis nach Berührung, Zärtlichkeit, Hautkontakt. Eine Umarmung kann
so gut tun, eine nahe, warme Gesteauch weit weg von jeder sexuellen Konnotation. Bei der Austeilung des Abendmahls in einem Gottesdienst
kürzlich kam eine Frau zu mir, die Tränen in den Augen hatte. Ich habe sie einfach kurz in den Arm genommen, und da hat sie geweint. Ich weiß nicht, was
ihr Kummer war, aber sie brauchte einen Menschen, der sie berührte. Auch ein Händedruck kann das ausdrücken oder eine andere liebe Geste. In der Kirche
und ihrer liturgischen Tradition gibt es dafür Ansätze, die ich gern neu entdecken würde. Die Salbung beispielsweise, bei der Menschen auf Stirn und Hand
mit Öl gesalbt werden, und bei der ihnen ein Segenswort zugesprochen wird. Oder die Geste bei der Tauferinnerung, bei der ein Kreuzeszeichen mit
Taufwasser auf die Stirn gezeichnet wird. Geradezu intim ist die Fußwaschung, die in vielen Kirchen am Gründonnerstag oder Karfreitag praktiziert
wird. Als ich dies das erste Mal gemacht habe, war ich erstaunt, wie nahe man einem Menschen kommt, dem man die Füße wäscht. Solche Nähe, wie Nähe
überhaupt, will gesucht, aber auch ausgehalten werden. Es gibt auch Angst vor Nähe, das Sich-Abschotten, die Erfahrung, besser mit mir allein
klarzukommen, denn alle Nähe, und gerade körperliche Nähe, macht verletzbar. Und doch ist die Freude an Beziehung, die Lust an Körperlichkeit auch in der
Mitte des Lebens schlicht eine wunderbare Erfahrung.
Freundschaften stärken
Maria aus Magdala, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus,
und die übrigen, die bei ihnen waren, erzählten es den Aposteln. 42
Im Neuen Testament ist immer wieder von Frauen die Rede, die einander eng verbunden waren. Mich berührt das. Sie waren einander
vertraut, haben Freude und Angst, Leid und Mut miteinander geteilt. Sie waren mit Jesus unterwegs, haben tapfer seinSterben begleitet
unter dem Kreuz, hatten gemeinsam die Kraft, am Ostermorgen zum Grab des Hingerichteten zu gehen und schließlich auch noch den Mut, den Jüngern zu sagen,
dass sie glaubten, er sei auferstanden! Tapfere, treue, starke, mutige Frauen!
Im Sommer 2008 hatte ich zum 50. Geburtstag auf ein großes offizielles Fest mit geladenen Gästen und Grußworten keine Lust. Deshalb habe ich einfach einen fröhlichen Sektempfang im bischöflichen Garten gegeben, zu dem zwischen 11 und 15 Uhr kommen konnte, wer gratulieren mochte, vom Präsidenten des Landeskirchenamtes über meinen Friseur bis zur Kollegin. Abends habe ich dann mit meiner engsten Familie nett auf dem Balkon gegessen.
Einen Monat später habe ich 26 Frauen eingeladen, die auf meinem Lebensweg eine Rolle gespielt haben. Sechs weitere waren leider verhindert und konnten nicht dabei sein. Zwanzig waren Frauen »in der Mitte des Lebens«, mit denen ich manche Strecke geteilt habe. Sechs gehörten zur jüngeren Generation: meine Töchter und die Töchter einer Freundin. Mir haben die Abwesenden gefehlt, aber insgesamt war es für mich ein bewegender Abend. Das Wetter spielte mit, wir saßen im großen Kreis im Garten, haben gegessen, getrunken, geredet, getanzt. Irgendwann gegen zwei Uhr morgens dachte ich: Das ist wie ein Bild aus einem französischen Film. Jetzt könnte die Kamera auf jedem einzelnen Gesicht verweilen, der Film würde in einer Rückblende jede Geschichte erzählen, und dann wäre der Blick wieder auf den gegenwärtigen Moment gerichtet und die Gemeinschaft.
Freundschaften haben mir immer viel bedeutet, aber je älter ich werde, desto wichtiger werden sie. Ich fühle mich einigen Männern sehr freundschaftlich verbunden, ich vertraue ihnen, arbeite gern mit ihnen zusammen. Da gibt es über Jahre gewachsenes Vertrauen, das bei allen beruflichen Belangen auch
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