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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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seiner Zigarre und warf das Streichholz über die Schulter. »Und wollen Sie die Wahrheit hören? Es war ein Heidenspaß.«

16
    Gangster
    Sobald die Matrosen das Gelände verlassen hatten, lief Esteban zum Fuhrpark, um ein Fahrzeug für sich und Joe zu besorgen. Joe wechselte seine Klamotten, während Dion ihren Lastwagen an die Rampe fuhr und die Kubaner die Kisten postwendend wieder einluden.
    Joe sah Dion an. »Kriegst du das hin?«
    Dion strahlte. »Mit links, Mann! Kümmert ihr euch um Graciela. Bis später!«
    Esteban hielt mit einem Spähwagen neben ihm; Joe stieg ein, und dann waren sie auch schon auf dem Highway 41. Knapp fünf Minuten später sahen sie den Militärlaster in etwa einer halben Meile Entfernung vor sich; die Straße war so eben, dass man praktisch bis hinüber nach Alabama sehen konnte.
    »Wenn wir die sehen können, können die uns auch sehen«, sagte Joe.
    »Nicht mehr lange«, gab Esteban zurück.
    Kurz darauf bog er nach links auf eine kleinere, von Zwergpalmettos und wild wucherndem Gestrüpp gesäumte Straße ab, die sie ins Dickicht führte. Sie holperten über Kies und nackte Erde voller Schlammpfützen. Esteban fuhr, wie Joe sich gerade fühlte – so, als würde er von tausend Teufeln gehetzt.
    »Wie hieß er?«, fragte Joe. »Der Junge, den die anderen versehentlich erschossen haben.«
    »Guillermo.«
    Joe sah die blicklosen Augen des Toten vor sich – der Gedanke, Gracielas Lider ebenso schließen zu müssen, war ihm schlicht unerträglich.
    »Wir hätten sie nicht allein lassen dürfen«, sagte Esteban.
    »Ich weiß.«
    »Wir hätten damit rechnen müssen, dass sie einen Aufpasser für sie abstellen.«
    »Ich weiß .«
    »Wir hätten uns um ihre Sicherheit kümmern müssen.«
    »Ich weiß , verdammt noch mal«, sagte Joe. »Das bringt uns jetzt bloß keinen Schritt weiter.«
    Esteban trat das Gaspedal voll durch, übersah dabei aber eine Senke. Sie hoben vom Boden ab und setzten so hart mit den Vorderreifen auf, dass Joe befürchtete, der Wagen würde sich jeden Augenblick überschlagen.
    Trotzdem bat er Esteban nicht, langsamer zu fahren.
    »Ich kenne sie seit meiner Kindheit«, sagte Esteban. »Damals waren wir gerade mal so groß wie die Hunde auf der Farm meiner Eltern.«
    Joe schwieg. Jenseits der Kiefern links von ihnen lag ein Sumpf. Zu beiden Seiten der Straße huschten Zypressen, Seesternbäume und Aberdutzende von anderen Pflanzen vorbei, in einem derartigen Tempo, dass sich Grün und Gelb wie auf einem Gemälde miteinander vermischten.
    »Gracielas Eltern waren Wanderarbeiter. Ihr ›Heimatdorf‹ hätten Sie mal sehen sollen – solche Armut könntet ihr Amerikaner euch nicht mal im Traum vorstellen. Meinem Vater fiel auf, wie geschickt sie war, und deshalb hat er ihre Eltern gefragt, ob sie als Hausmädchen bei uns anfangen dürfe. Aber tatsächlich hat er mir eine Freundin gekauft. Ich hatte nämlich keine Freunde, nur die Pferde und das Vieh im Stall.«
    Sie bretterten über die nächste Bodenwelle.
    »Wieso erzählen Sie mir das gerade jetzt?«
    »Ich habe sie geliebt.« Esteban sprach mit lauter Stimme, um sich über das Röhren des Motors verständlich zu machen. »Jetzt liebe ich eine andere, aber viele Jahre lang war ich über beide Ohren in Graciela verliebt.«
    Er sah zu Joe hinüber, und Joe deutete durch die Windschutzscheibe. »Schau nach vorn, Esteban.«
    Die nächste Bodenwelle hob sie einen Moment lang aus den Sitzen.
    »Stimmt es eigentlich, dass sie all das für ihren Mann auf sich nimmt?« Wenn er redete, gelang es Joe, die Angst im Zaum zu halten; so fühlte er sich weniger hilflos.
    »Ach«, sagte Esteban. »Adan ist kein Mann. Er ist eine Memme.«
    »Ich dachte, er wäre ein Revolutionär.«
    Esteban spie aus dem Fenster. »Von wegen. Er ist ein… ein… estafador . Ein Hochstapler, so heißt das auf Englisch, richtig? Er macht einen auf Revolutionär, singt unsere Freiheitslieder, und sie hat sich Hals über Kopf in ihn verknallt. Alles hat sie für ihn drangegeben – ihre Familie, ihr bisschen Geld und so gut wie all ihre Freunde außer mir.« Er schüttelte den Kopf. »Sie weiß nicht mal, wo er überhaupt steckt.«
    »Ich dachte, er wäre im Gefängnis.«
    »Er ist schon seit zwei Jahren wieder draußen.«
    Der Wagen geriet ins Schlingern, als sie über die nächste Bodenwelle rumpelten, und das Heck streifte eine Kiefer, ehe Esteban das Steuer wieder unter Kontrolle bekam.
    »Aber sie unterstützt seine Familie doch nach wie vor.«
    »Die

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