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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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schlief mit dem Rücken zu ihm; ihr Haar ergoss sich ungezähmt über das Kissen. Kurz überlegte er, ob er nicht lieber aus dem Bett schlüpfen, sich anziehen und einfach gehen sollte, bevor Trübsinn und Katzenjammer unweigerlich die schöne Stimmung verdarben. Bevor die große Reue aufkam. Stattdessen hauchte er ihr einen Kuss über die Schulter, und im selben Moment drehte sie sich zu ihm um. Dann lag sie auch schon wieder auf ihm. Und das mit der Reue, dachte er, würde noch einen Tag warten müssen.
    »Wir sollten das Ganze rein geschäftlich betrachten«, erklärte sie ihm, als sie unten im Café zusammen frühstückten.
    »Inwiefern?« Er konnte einfach nicht aufhören, wie ein Idiot zu grinsen, während er seinen Toast aß.
    »Wir werden unsere körperliche Beziehung so lange…« – sie lächelte ebenfalls, während sie nach dem richtigen Wort suchte – »…aufrechterhalten, bis…«
    »›Aufrechterhalten‹?«, sagte er. »Dein Privatlehrer hat dir ja einiges beigebracht.«
    Sie wurde gleich zwei Zentimeter größer. »Danke.«
    Er grinste weiter wie ein Idiot. »Nichts zu danken. Und wie lange halten wir unsere Beziehung aufrecht?«
    »Bis ich wieder nach Kuba zurückgehe. Und zu meinem Mann.«
    »Und ich?«
    »Du?« Sie spießte ein Stück Spiegelei auf ihre Gabel.
    »Ja, ich. Du kriegst deine Heimat und deinen Mann. Und was kriege ich?«
    »Du wirst König von Tampa.«
    »Prinz«, berichtigte er sie.
    »Prinz Joseph«, sagte sie. »Das klingt zwar nicht schlecht, passt aber irgendwie auch nicht richtig. Schließlich ist ein Prinz ja dem Wohl seiner Untertanen verpflichtet, nicht wahr?«
    »Im Gegensatz zu?«
    »Einem Gangster, dem es nur um sich selbst geht.«
    »Und um seine Leute.«
    »Genau.«
    »Was ja auch eine Art Nächstenliebe ist.«
    Sie musterte ihn halb frustriert, halb angewidert. »Bist du ein Prinz oder ein Gangster?«
    »Ich weiß es nicht. Ich sehe mich selbst als Gesetzlosen, aber inzwischen frage ich mich manchmal, ob das nicht bloß ein Hirngespinst ist.«
    »Dann bist du mein gesetzloser Prinz, bis ich nach Hause zurückkehre. Würde dir das gefallen?«
    »Sehr sogar. Was sind meine Pflichten?«
    »Du musst etwas zurückgeben.«
    »Okay.« Er hätte auch eingewilligt, wenn sie seinen rechten Arm gefordert hätte. »Wo fangen wir an?«
    Eindringlich blickte sie ihn aus ihren dunklen Augen an. »Bei Manny.«
    »Er hatte eine Familie«, sagte Joe. »Eine Frau und drei Töchter.«
    »Das weißt du noch?«
    »Na klar.«
    »Du hast gesagt, er wäre dir scheißegal.«
    »Da habe ich vielleicht ein bisschen übertrieben.«
    »Wirst du dich um seine Familie kümmern?«
    »Für wie lange?«
    »Ihr Leben lang«, sagte sie, als wäre das die einzig logische Antwort. »Er ist für dich in den Tod gegangen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Mit Verlaub, das hat er für euch getan. Für euch und eure Sache.«
    Sie hielt ihren Toast in der Hand. »Und das heißt?«
    »Das heißt«, sagte er, »dass ich den Bustamentes mit Freuden einen Sack voller Geld schicke, sobald ich genug in der Kasse habe. Wäre das in deinem Sinne?«
    Sie lächelte ihn an und biss in ihren Toast. »Und wie.«
    »Dann betrachte es als erledigt. Übrigens, wie wirst du sonst genannt? Außer Graciela, meine ich.«
    »Wie sollte ich denn sonst genannt werden?«
    »Keine Ahnung. Gracie?«
    Sie zog ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
    »Grazi?«
    Noch so eine Miene.
    »Ella?«, versuchte er es erneut.
    »Warum sollte mich jemand so nennen? Graciela ist der Name, den mir meine Eltern gegeben haben.«
    »Mein Name stammt auch von meinen Eltern.«
    »Aber du hast ihn halbiert.«
    »Was hast du gegen ›Joe‹?«, sagte er. »Das ist doch nichts anderes als ›José‹.«
    »Von wegen«, sagte sie, während sie den letzten Bissen aß. »José bedeutet Joseph, nicht Joe. Und Joseph ist dein richtiger Name.«
    »Du klingst wie mein Vater«, sagte er. »Er hat mich auch immer nur Joseph genannt.«
    »Weil du so heißt.« Sie schüttelte den Kopf. »Du isst wie ein Spatz.«
    »Das höre ich auch nicht zum ersten Mal.«
    Ihr Blick richtete sich auf etwas hinter ihm, und als er sich umwandte, sah er Albert White, der gerade durch die Hintertür trat. Er schien um keinen Tag gealtert zu sein, auch wenn er ein wenig zugelegt hatte und sich der Ansatz eines Wohlstandsbauchs über seinem Gürtel wölbte. Er trug einen hellen Anzug, einen hellen Hut und helle Gamaschen, seit jeher seine bevorzugte Kleidung, und hatte immer noch

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