In der Nacht (German Edition)
auf brutalste Weise gefoltert werden. Und nichts an meinem Tod wird irgendwie edel oder großartig sein, weil der Tod eben nie edel oder großartig ist. Man heult und schreit, und die Scheiße läuft einem aus dem Arsch, wenn man stirbt. Und diejenigen, die dich töten, lachen dich aus und spucken auf deine Leiche. Am Ende wird man mich schnell vergessen. Als ob es« – sie schnippte mit den Fingern – »mich nie gegeben hätte. Mir ist das durchaus bewusst.«
»Und warum nimmst du all das dann auf dich?«
Sie stand auf und strich ihre Bluse glatt. »Weil ich mein Land liebe.«
»Ich liebe mein Land auch, aber –«
»Es gibt kein Aber«, sagte sie. »Und genau das unterscheidet uns beide. Dein Land liegt da draußen vor dem Fenster – richtig?«
Er nickte. »Ja.«
»Mein Land lebt in mir.« Sie legte die Hand auf die Brust, tippte sich dann an die Schläfe. »Und ich weiß, dass es mir nicht danken, meine Liebe nicht erwidern wird. Das wäre auch unmöglich, da ich nicht nur mein Volk, unsere Architektur und den Geruch meines Landes liebe. Ich liebe meine Idee, meine Vorstellung von Kuba. Und das sind Dinge, die ich mir ausgedacht habe, was wiederum bedeutet, dass ich etwas liebe, das es gar nicht gibt. So wie du diese tote Frau.«
Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, sah einfach nur wortlos zu, wie sie das Zimmer durchquerte und das zerfetzte Abendkleid vom Paravent nahm. Als sie den Raum verließen, drückte sie ihm das Kleid in die Hand.
»Verbrenn das«, sagte sie.
Die Waffen gingen in die westlich von Havanna gelegene Provinz Pinar del Río. Sie befanden sich an Bord von fünf Kuttern, die um drei Uhr nachmittags von der Boca Ciega Bay in St. Petersburg in See stachen. Dion, Joe, Esteban und Graciela standen am Kai und sahen den Booten hinterher. Joe hatte seine Sachen gewechselt und trug den leichtesten Anzug, den er besaß. Graciela war dabei gewesen, als er seine komplett ruinierten Klamotten und ihr Kleid verbrannt hatte, doch nun schien der Eindruck der Hetzjagd im Sumpf allmählich zu verblassen. Immer wieder nickte sie auf der Bank ein, auf der sie Platz genommen hatte, lehnte aber jedes Mal ab, wenn ihr jemand anbot, sich doch in einem der Autos auszuruhen.
Als der letzte der Kutterkapitäne ihnen die Hand geschüttelt und schließlich abgelegt hatte, standen sie am Kai und blickten sich an, und Joe erkannte, dass keiner von ihnen wusste, was sie als Nächstes tun sollten. Was sie in den letzten achtundvierzig Stunden erlebt hatten, war schwer zu übertreffen. Der Himmel hatte sich rot verfärbt. Am anderen Ende der gezackten Küstenlinie, jenseits eines Mangrovendickichts, flatterte ein Segel in der heißen Brise. Joe sah zu Esteban. Er sah zu Graciela, die mit geschlossenen Augen wieder auf ihrer Bank saß, den Kopf an die dahinterstehende Laterne gelehnt. Er sah Dion an; hoch über ihm stieß ein Pelikan hinab aufs Wasser, der Schnabel länger als der gesamte Körper. Joes Blick wanderte hinaus zu den Kuttern, die nun schon ziemlich weit entfernt und von ihm aus gesehen kaum größer als spitze Hütchen waren, und plötzlich musste er lachen, platzte einfach damit heraus, und dann röhrten auch Dion und Esteban los. Graciela bedeckte ihr Gesicht einen Moment lang mit den Händen, und dann begann sie ebenfalls zu lachen, lachte und weinte gleichzeitig und spähte zwischen ihren Fingern hervor wie ein kleines Mädchen, ehe sie die Hände wieder herunternahm. Sie lachte und weinte, fuhr sich ein ums andere Mal durch die Haare und wischte sich schließlich das Gesicht mit ihrem Blusenkragen. Zusammen traten sie an den Rand des Kais, blickten hinaus auf das Wasser, das sich purpurrot zu verfärben begann, und lachten, lachten, lachten, bis sie nur noch leise in sich hineinkichern konnten und die Boote hinter dem Horizont verschwunden waren.
An den Rest des Tages konnte sich Joe hinterher nur mehr oder weniger verschwommen erinnern. Sie machten sich auf in eins von Masos Speakeasys, das sich hinter der Praxis eines Tierarztes Ecke Fifteenth und Nebraska befand. Esteban ließ eine Kiste dunklen Rum herbeischaffen, und die Kunde davon verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter all jenen, die an dem Raubzug beteiligt gewesen waren. Bald darauf drängten sich Pescatores Handlanger Seite an Seite mit Estebans Revolutionären. Dann trudelten die Frauen ein, herausgeputzt mit Seidenkleidern und paillettenbesetzten Hüten. Eine Band stürmte auf die Bühne. Im Nu wurde getanzt, dass die
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