In der Nacht (German Edition)
ein Jahr später davon, weil die Stimmen von der Straße sich nie laut genug erhoben, als dass sie ihn erreichten.
Unterdessen brachte die Coughlin-Suarez-Partnerschaft eine wahrhaft beneidenswerte Stabilität in ein Geschäft, das bislang nur für seine Unwägbarkeiten bekannt gewesen war. Zuerst richteten Joe und Esteban eine Destillerie im Landmark Theatre in der Seventh Avenue ein, dann eine weitere hinter der Küche des Romero Hotels, hielten beide blitzsauber und ließen dort rund um die Uhr produzieren. Sie kauften sich bei allen Kleindestillen und Klitschen ein, auch bei denen, die Albert White gehörten, beteiligten die Inhaber anständig und sorgten dafür, dass sie bessere Rohstoffe bekamen. Sie schafften schnellere Boote an und rüsteten ihre Lastwagen und Transporter mit stärkeren Motoren auf. Sie kauften ein zweisitziges Wasserflugzeug, um ihre Schiffstransporte über den Golf aus der Luft zu sichern. Ihr Pilot war Farruco Diaz, ein ehemaliger mexikanischer Revolutionär, dessen fliegerische Brillanz nur von seinem veritablen Dachschaden übertroffen wurde. Farruco, ein abgewrackter Bursche mit fingerspitzentiefen Pockennarben, dem die langen, strähnigen Haare vom Kopf hingen wie warme Pasta, machte sich dafür stark, den zweiten Sitz mit einem Maschinengewehr auszurüsten – »nur für den Fall«. Als Joe ihn daran erinnerte, dass er solo flog und kein Schütze an Bord war, stimmte Farruco einem Kompromiss zu, der darin bestand, dass er eine Halterung für die Waffe, nicht aber das Maschinengewehr selbst im Flieger montierte.
Was den Landweg anging, investierten sie in sichere Lieferrouten. Wenn sie die verschiedenen Schmugglerbanden bezahlten, um unbehelligt deren Wege im Süden und die Küste hinauf benutzen zu können, so Joes Gedanke, würden diese wiederum die örtlichen Gesetzeshüter schmieren – und sie ihre Verluste auf dem Transportweg um dreißig bis fünfunddreißig Prozent senken können.
Es wurden siebzig Prozent.
In null Komma nichts schraubten Joe und Esteban die Gewinne von einer Million auf satte sechs Millionen.
Und das während einer weltweiten Finanzkrise, die sich Tag für Tag, Monat für Monat weiter verschlimmerte, während eine Katastrophenmeldung die nächste jagte. Die Leute brauchten Arbeit. Sie brauchten ein Dach über dem Kopf, sie brauchten Hoffnung. Und wenn nichts davon zu haben war, betäubten sie sich mit Alkohol.
Das Laster, wurde Joe klar, kannte keine Krise.
Sonst gab es allerdings so gut wie nichts, was von der Depression verschont geblieben wäre. Und auch wenn Joe nicht davon betroffen war, entsetzte es ihn genauso wie alle anderen, wie rapide es in den letzten Jahren mit dem Land bergab gegangen war. Seit dem Börsencrash anno ’29 waren zehntausend Banken pleitegegangen, hatten dreizehn Millionen Menschen ihren Job verloren. Angesichts der bevorstehenden Wahlen beschwor Hoover zwar ein ums andere Mal das berühmte Licht am Ende des Tunnels, doch waren die meisten Leute mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass es sich dabei um die Scheinwerfer des herandonnernden Zuges handelte, der sie alle ins Verderben reißen würde. Weshalb Hoover in einem Anfall von Verzweiflung die Steuer für die Reichsten der Reichen von fünfundzwanzig auf dreiundsechzig Prozent heraufsetzte und damit auch noch die Letzten verlor, die ihn unterstützten.
Im Großraum Tampa florierte die Wirtschaft seltsamerweise – Werften und Konservenfabriken erlebten einen ungeahnten Aufschwung. Nur in Ybor tat sich nichts. Die Zigarrenfabriken steuerten schneller in den Ruin als die Banken. Rollmaschinen ersetzten die Arbeiter, Radios die Vorleser. Die so viel billigeren Zigaretten wurden zum neuen legalen Laster der Nation, und die Zigarrenverkäufe gingen um fünfzig Prozent zurück. In etwa einem Dutzend Fabriken streikten die Arbeiter, doch ihre Bemühungen wurden von bestellten Schlägern, der Polizei und dem Ku-Klux-Klan im Keim erstickt. Die Italiener verließen Ybor in Scharen. Die Spanier begannen, dem Viertel ebenfalls den Rücken zu kehren.
Auch Graciela verlor ihren Job an eine Maschine. Was Joe ganz recht war – er hatte sich ohnehin seit Monaten gewünscht, dass sie bei La Trocha aufhörte. Sie war schlicht zu wertvoll für seine Organisation. Sie kümmerte sich um die Kubaner, wenn sie mit den Booten eintrafen, zeigte ihnen das Gemeindehaus, brachte sie ins nächste kubanische Hotel oder auch ins Krankenhaus, je nachdem, was die Neuankömmlinge gerade
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