In der Nacht (German Edition)

hat.«
    »Ist er dir in Havanna mal über den Weg gelaufen?«
    »Eigentlich jedes Mal. Er hängt in den übelsten Bars herum und versäuft ihr Geld.«
    Mein Geld, dachte Joe.
    »Wird drüben immer noch nach ihr gesucht?«
    »Ihr Name steht auf einer Liste«, sagte Esteban.
    Joe überlegte. »Wir könnten ihr doch falsche Papiere besorgen, oder? Wie lange würde das dauern?«
    Esteban nickte. »Weniger als zwei Wochen.«
    »Und wenn sie mit eigenen Augen sehen würde, wie der Mistkerl am Tresen versumpft? Würde sie ihn dann verlassen, Esteban?«
    Esteban hob die Schultern. »Hör mir zu, Joseph. Graciela liebt dich. Ich kenne sie von klein auf und habe durchaus das eine oder andere Mal miterlebt, wenn sie verliebt war. Aber bei keinem war es so wie bei dir – Wahnsinn.« Er riss die Augen auf, fächelte sich mit dem Hut Luft zu. »Du bist die Liebe ihres Lebens. Aber du darfst nicht vergessen, dass sie sich die letzten zehn Jahre lang als Revolutionärin begriffen hat. Und nun merkt sie plötzlich, dass sie all das als Ballast empfindet – ihre Überzeugungen, ihre Heimat, ihre Bestimmung und, ja, auch ihren verdammten Ehemann. Weil sie ihr Leben einfach nur noch mit einem amerikanischen Gangster teilen will. Und du glaubst ernstlich, das würde sie sich eingestehen?«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie sich dann eingestehen müsste, dass sie nichts weiter als eine Salonrebellin ist. Und das wird sie nicht tun. Sie wird sich doppelt so stark für ihre Sache engagieren und dich auf Abstand halten.« Er schüttelte den Kopf und blickte nachdenklich an die Zimmerdecke. »Tja, schon verrückt, wenn man sich das recht überlegt.«
    Joe fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Das kannst du laut sagen.«
    Ein paar Jahre war alles wie am Schnürchen gelaufen. Ihre Geschäfte blühten und gediehen – bis Robert Drew Pruitt in der Stadt auftauchte.
    Am Montag nach Joes Gespräch mit Esteban kam Dion vorbei, um ihn davon zu unterrichten, dass RD einen weiteren ihrer Clubs überfallen hatte. Robert Drew Pruitt wurde schlicht RD genannt und stellte für ganz Ybor eine Bedrohung dar, seit er acht Wochen zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden war und nun in der Stadt Fuß zu fassen versuchte.
    »Warum stöbern wir das Arschloch nicht einfach auf und legen ihn um?«
    »Das würde dem Klan gar nicht gefallen.«
    Der Ku-Klux-Klan hatte in letzter Zeit mehr und mehr Einfluss in Tampa gewonnen. Die Klansmänner gerierten sich seit jeher als fanatische Alkoholgegner, und zwar nicht etwa, weil sie selbst Abstinenzler gewesen wären – tatsächlich soffen sie wie die Löcher –, sondern weil sie der felsenfesten Überzeugung waren, dass Alkohol Nigger größenwahnsinnig machte, der Unzucht zwischen den Rassen Vorschub leistete und nicht zuletzt Teil einer papistischen Verschwörung war, die es darauf abgesehen hatte, die wahrhaft Gläubigen zu schwächen, damit die Katholiken am Ende die Weltherrschaft übernehmen konnten.
    Vor dem Börsencrash hatte der Klan in Ybor keine Rolle gespielt. Doch nachdem die Wirtschaft immer weiter den Bach herunterging, klammerten sich mehr und mehr Verzweifelte an die Mär von der Überlegenheit der weißen Rasse, so wie sich auch die Zelte der Feuer-und-Schwefel-Prediger regen Zulaufs erfreuten. Die Leute wussten nicht mehr weiter. Sie hatten Angst um ihre Existenz, und da sie keine Bankiers und Börsenmakler lynchen konnten, hielten sie Ausschau nach Opfern in ihrer direkten Nachbarschaft.
    Und fanden sie in den Zigarrenarbeitern, die auf eine lange Geschichte im Arbeitskampf zurückblicken konnten und bekannt für ihr radikales Gedankengut waren. Der Klan hatte auch den letzten Streik gestoppt. Jede Versammlung der Streikenden war von Klan-Mitgliedern zerschlagen worden, die zuerst wild um sich geschossen und dann mit ihren Waffen auf die Flüchtenden eingedroschen hatten. Im Vorgarten eines Arbeiters fackelten sie ein mannshohes Kreuz ab, verübten einen Brandbombenanschlag auf das Haus eines anderen und vergewaltigten zwei Frauen aus der Celestino-Vega-Fabrik auf dem Nachhauseweg.
    Der Streik wurde abgeblasen.
    RD Pruitt war bereits Mitglied des Klans gewesen, bevor er zwei Jahre in Raiford abgesessen hatte. Das erste Speakeasy, das er überfiel – eine Kaschemme im Hinterraum einer Bodega in der Twentyseventh Street –, befand sich direkt gegenüber einem alten Bretterschuppen jenseits der Bahngleise, der dem Hörensagen nach das Hauptquartier der örtlichen Klan-Sektion war. Während RD