In der Nacht (German Edition)
sich die Einnahmen des Abends unter den Nagel riss, deutete er auf die Wand, die den Schienen am nächsten lag, und sagte: »Wehe, die Bullen kreuzen hier auf! Wir kriegen das alles mit!«
Als Joe davon hörte, wusste er, dass er es mit einem Schwachkopf zu tun hatte – selbstredend hätte niemand, der ein Speakeasy betrieb, die Polizei gerufen. Dennoch gab ihm das Wörtchen »wir« zu denken. Der Klan wartete nur darauf, dass sich jemand wie Joe zu weit aus dem Fenster lehnte. Ein katholischer Yankee, der mit Latinos, Italienern und Negern zusammenarbeitete, mit einer Kubanerin in wilder Ehe lebte und seine Brötchen damit verdiente, dass er den Dämon Alkohol unter die Leute brachte – so jemanden konnte man einfach nur aus tiefster Seele hassen.
Tatsächlich hatten sie es genau darauf abgesehen. Dass er sich eine Blöße gab. Die Fußsoldaten des Klans mochten nichts weiter als eine Horde degenerierter, ungebildeter Idioten sein, doch ihre Anführer konnte man nicht einfach als Dumpfbacken abtun. Kopf der örtlichen Gruppe war Kelvin Beauregard, Besitzer einer Konservenfabrik und Mitglied des Stadtrats; darüber hinaus wurde gemunkelt, dass ihr auch Richter Franklin vom Amtsgericht, ein Dutzend Cops und sogar Hopper Hewitt, der Herausgeber des Tampa Examiner , angehörten.
Doch so richtig kompliziert wurde das Ganze erst durch RD s Schwager Eagle Eye Irv – bekannt auch unter dem Namen Irving Figgis, seines Zeichens Polizeichef von Tampa.
Seit ihrer ersten Begegnung anno ’29 war Joe diverse Male von Chief Figgis einbestellt worden, der sich offenbar gezwungen fühlte, ihn gelegentlich daran zu erinnern, dass sie auf verschiedenen Seiten des Gesetzes standen. Für gewöhnlich saß Joe dann in seinem Büro – manchmal brachte ihnen Irvs Sekretärin sogar Limonade herein – und betrachtete die Fotos auf dem Schreibtisch des Chiefs: seine schöne Frau und die beiden rothaarigen Kinder, Caleb, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, und Loretta, immer noch von so unbeschreiblichem Liebreiz, dass es Joe jedes Mal wieder den Atem verschlug. Sie war Ballkönigin beim Abschlussfest an der Hillsborough High School gewesen und hatte alle möglichen Preise bei lokalen Theateraufführungen eingeheimst. Und so hatte sich auch niemand gewundert, als sie schließlich nach Hollywood gegangen war. Wie so viele andere erwartete auch Joe, sie bald auf der großen Leinwand zu sehen. In ihr strahlte ein Licht, das alle um sie herum magisch anzog.
Umgeben von den Bildern seines perfekten Lebens, hatte der Chief Joe bereits des Öfteren gewarnt, dass er den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen würde, sollten sie ihm je eine Beteiligung an dem Anschlag auf die USS Mercy nachweisen können. Und wenn erst das FBI ins Spiel kam, war es sogar möglich, dass er ruck, zuck an einem Galgen baumelte. Doch davon abgesehen ließ er Joe und seine Leute in Ruhe, solange sie sich von den weißen Vierteln Tampas fernhielten.
Doch mittlerweile hatte RD Pruitt das vierte Pescatore-Speakeasy innerhalb eines Monats überfallen. Er schien regelrecht darum zu betteln, dass Joe zurückschlug.
»Alle vier Barkeeper haben das Gleiche über den Burschen gesagt«, berichtete Dion. »Der Kerl ist hundsgemein und brandgefährlich. Man sieht es ihm einfach an. Spätestens beim übernächsten Mal bringt er jemanden um.«
Im Knast hatte Joe reichlich Typen kennengelernt, auf die diese Beschreibung passte, und für gewöhnlich hatte man in einem solchen Fall drei Möglichkeiten – entweder ließ man sie für sich arbeiten, ging ihnen tunlichst aus dem Weg oder legte sie um. Und Joe wollte RD unter keinen Umständen für sich arbeiten lassen, ganz abgesehen davon, dass der sich von einem Katholiken oder Kubaner mit Sicherheit nichts sagen ließ. Blieben also die Möglichkeiten zwei und drei.
An einem Februarmorgen traf er sich mit Chief Figgis im Tropicale; die Luft war warm und trocken, und inzwischen wusste Joe das Klima von Ende Oktober bis Ende April zu schätzen. Sie tranken ihren Kaffee mit einem Schuss Suarez Reserve. Der Chief blickte nervös auf die Seventh Avenue hinaus; die innere Unruhe war ihm deutlich anzumerken.
In letzter Zeit wirkte er immer öfter, als würde sich ein Teil von ihm mit aller Macht gegen den drohenden Untergang wehren – ein zweites Herz, das in seinen Ohren hämmerte, ihm bis zum Hals schlug, so heftig, dass seine Augen manchmal hervortraten.
Joe hatte keine Ahnung, was im Leben des Mannes
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