In der Nacht (German Edition)
schlicht und einfach, um wieder aufatmen und sich entspannen zu können. Wenn Maso vorbeisah, war es jedes Mal so, als käme für ein paar Tage ein Onkel zu Besuch, der ums Verrecken nicht wieder abreisen wollte. Und am schlimmsten war, dass der Onkel glaubte, einem damit einen Gefallen zu tun.
Ein paar Tage nach Masos Abreise schickte Joe zwei seiner Jungs los, die Turner John ein bisschen einschüchtern sollten. Stattdessen schüchterte er sie ein und schlug einen von ihnen krankenhausreif – wozu er weder eine Waffe noch die Hilfe seiner Söhne benötigte.
Eine Woche später sah Joe persönlich bei ihm vorbei.
Er wies Sal an, im Wagen auf ihn zu warten. Dann stand er auf der Schotterstraße vor Belkins Behausung, einer Bretterbude mit Kupferdach. Das eine Ende der Veranda war herabgesackt; am anderen stand eine rote Coca-Cola-Kühltruhe, die aussah, als würde sie jeden Tag auf Hochglanz poliert.
Turner Johns Söhne, drei bullige Burschen, die außer langen Baumwollunterhosen nicht viel am Leib hatten, nicht mal Schuhe (obwohl einer aus unerfindlichen Gründen einen roten Wollpullover mit Schneeflockenmuster trug), filzten Joe, nahmen ihm seine 32er Savage ab und filzten ihn noch einmal. Anschließend ließen sie Joe in den Schuppen, wo er gegenüber von Turner John an einem Tisch mit verschieden langen Beinen Platz nahm. Er versuchte vergeblich, den Tisch geradezurücken, und fragte Turner John dann frei heraus, warum er seine Leute zusammengeschlagen hatte. Turner John, ein hagerer Mann mit ernster Miene, dessen Augen und Haare denselben Braunton wie sein Anzug hatten, erwiderte, ihr Blick hätte ihm bereits mehr gesagt als tausend Worte – weshalb er darauf verzichtet hatte, sich genauer nach ihrem Begehr zu erkundigen.
Joe fragte Turner John, ob ihm bewusst sei, dass er nun gezwungen sei, ihn zu beseitigen, da er sonst sein Gesicht verlieren würde. Turner John gab zurück, das hätte er sich schon gedacht.
»Also«, sagte Joe. »Warum stellen Sie sich quer? Die paar Dollar Beteiligung, die wir wollen, sind wohl kaum Ihr Leben wert.«
»Mister«, sagte Turner John. »Lebt Ihr Vater noch?«
»Nein, er ist tot.«
»Aber Sie sind immer noch sein Sohn, stimmt’s?«
»Natürlich.«
»Und selbst wenn Sie irgendwann zwanzig Urenkel haben sollten, sind Sie immer noch Ihres Vaters Sohn.«
Die tiefe Trauer, die urplötzlich Besitz von ihm ergriff, traf Joe völlig unvorbereitet. Kurz wandte er den Blick ab, da ihm um ein Haar Tränen in die Augen gestiegen wären. »Ja.«
»Und Sie wünschen sich, dass er stolz auf Sie wäre, richtig? Sie wünschten, er könnte sehen, dass aus Ihnen ein Mann geworden ist.«
»Ja, natürlich«, sagte Joe.
»Sehen Sie, bei mir verhält es sich genauso. Mein alter Herr war ein feiner Kerl. Hat mich nur verprügelt, wenn ich’s auch verdient hatte, und nie, wenn er besoffen war. Und wenn ich geschnarcht habe, hat er mir höchstens mal ’ne Kopfnuss verpasst. Ich schnarche nämlich wie ein Weltmeister, Sir, und das ging meinem Daddy schwer auf den Senkel, wenn er todmüde war. Aber davon abgesehen war er ein prima Vater. Und jetzt, in diesem Moment sieht mein Daddy gerade zu mir herunter und sagt: ›Turner John, ich habe dich nicht großgezogen, damit du deine sauer verdienten Dollars irgendeinem dahergelaufenen Burschen in den Rachen wirfst, der nicht mit dir im Dreck gewühlt hat.‹« Er hielt Joe die schwieligen Hände hin. »Wenn Sie mein Geld wollen, Mr. Coughlin, packen Sie hier mit an und helfen uns, die Äcker zu bestellen, die Ernten einzubringen und die Kühe zu melken. Können Sie mir folgen?«
»Durchaus.«
»Tja, dann wäre wohl alles gesagt.«
Joe sah an die Zimmerdecke, ehe er den Blick wieder auf Turner John richtete. »Glauben Sie wirklich, dass Ihr Vater Ihnen von oben zusieht?«
Turner John entblößte zwei Reihen silberner Zähne. »Glauben? Ich weiß es.«
Joe öffnete seinen Hosenlatz, förderte den Derringer zutage, den er seinerzeit Manny Bustamente abgenommen hatte, und richtete den Lauf auf Turner John.
Turner John atmete langsam aus.
Joe sagte: »Einen angefangenen Job bringt man auch zu Ende, nicht wahr?«
Turner John leckte sich über die Unterlippe, ohne den Blick auch nur eine Sekunde von der Waffe zu wenden.
»Wissen Sie, was das ist?«, fragte Joe.
»Ein Damenrevolver.«
»Nein«, sagte Joe. »Das ist ein Trumpf, den ich nicht einsetze.« Er stand auf. »Hier draußen in Palmetto können Sie künftig schalten und walten,
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