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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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eine ganze Weile, bevor sie antwortete: »Ich kann das nicht sagen.«
    Aber das hieß ja noch lange nicht, dass sie nichts für ihn empfand.
    »Okay.«
    »Wirklich? Manche Männer wollen es unbedingt hören.«
    Manche Männer? Wie viele Kerle hatten ihr gegenüber von Liebe gesprochen, bevor er auf den Plan getreten war?
    »Ich bin nicht so ein Schwächling«, sagte er und wünschte, es wäre die Wahrheit gewesen.
     Die stürmische Februarbrise rüttelte am Fenster. Das Tuten eines Nebelhorns drang zu ihnen herauf, und vom Scollay Square war wütendes Hupen zu hören.
    »Was wünschst du dir?«, fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern, kaute an einem Nagel und blickte über ihn hinweg zum Fenster hinaus.
    »Dass mir das eine oder andere erspart geblieben wäre.«
    »Was denn?«
    Sie schüttelte den Kopf; die Müdigkeit holte sie ein.
    »Und Sonne«, murmelte sie nach einer Weile mit schwerer, schlaftrunkener Stimme. »Jede Menge Sonne.«

3
    Hickeys Termiten
    Tim Hickey hatte Joe einst eingeschärft, dass der kleinste Fehler zuweilen einen üblen Rattenschwanz nach sich ziehen konnte. Joe fragte sich, was Tim wohl dazu gesagt hätte, dass er gerade hinter dem Steuer eines Fluchtwagens seinen Tagträumen nachhing, noch dazu gleich gegenüber einer Bank. Aber eigentlich träumte er ja auch gar nicht – er konzentrierte bloß seine Aufmerksamkeit. Auf den Rücken einer Frau, genauer gesagt: auf Emmas Rücken. Auf das Muttermal, das sie dort hatte. Wozu Tim wahrscheinlich gesagt hätte, na schön, manchmal sind es eben die größten Fehler, die einen metertief in die Scheiße reiten, du Riesenross.
    Außerdem sagte Tim gern, dass die erste Termite am Einsturz eines Hauses ebenso schuld war wie die letzte. Joe stieg nicht ganz dahinter – die erste Termite war doch schon lange tot, wenn die letzte ihre Zähne ins Holz grub. Jedes Mal, wenn Tim seine Parabel zum Besten gab, beschloss Joe, sich sobald wie möglich über die Lebenserwartung von Termiten zu informieren, vergaß es dann aber wieder, bis Tim das Thema das nächste Mal aufs Tapet brachte, für gewöhnlich, wenn er betrunken war und die Unterhaltung ins Stocken geriet, worauf die Mienen der anderen Anwesenden durch die Bank dieselbe Frage widerspiegelten: Du lieber Himmel, was für ein Problem hatte Tim eigentlich mit diesen beschissenen Termiten?
    Einmal pro Woche sah Tim Hickey in Aslems Frisiersalon in der Charles Street vorbei, um sich die Haare schneiden zu lassen. Eines Dienstags landeten ein paar dieser Haare in seinem Mund, als er sich auf dem Weg zum Frisierstuhl eine Kugel in den Hinterkopf einfing. Er stürzte auf die Schachbrettfliesen, und Blut tropfte von seiner Nasenspitze, als der Killer mit weit aufgerissenen Augen hinter dem Garderobenständer hervortrat. Der Garderobenständer krachte auf den Boden, und einer der Friseure hechtete aus der Schusslinie. Der Killer trat über Tim Hickeys Leiche und nickte den Zeugen mit eingezogenem Kopf zu, als wäre ihm die Sache irgendwie peinlich, ehe er den Salon verließ.
    Als Joe davon hörte, lag er gerade mit Emma im Bett. Nachdem er aufgelegt hatte, lehnte Emma sich mit dem Rücken gegen die Wand, und er erzählte ihr, was passiert war. Sie drehte sich eine Zigarette und sah Joe an, während sie über das Papier leckte – stets sah sie ihn an, wenn sie das Blättchen mit der Zunge befeuchtete. Dann zündete sie die Zigarette an. »Hat er dir etwas bedeutet? Tim, meine ich.«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Joe.
    »Warum nicht?«
    »Das lässt sich nicht so einfach beantworten.«
    Tim Hickey war auf Joe und die Bartolos aufmerksam geworden, als sie – damals noch halbe Kinder – regelmäßig Zeitungsstände abgefackelt hatten. Am einen Morgen hatten sie sich vom Globe dafür bezahlen lassen, einen der Stände des Standard anzustecken, am nächsten Tag zündeten sie im Auftrag des Herald American einen Stand des Globe an. Tim heuerte sie an, damit sie das 51   Café niederbrannten. Schließlich betraute er sie auch mit spätnachmittäglichen Einbrüchen auf Beacon Hill; Zutritt zu den Herrenhäusern verschafften sie sich durch die Hintertüren, entriegelt von Putzfrauen oder Handwerkern, die auf Tims Gehaltsliste standen. Wenn sie einen Auftrag von ihm übernahmen, erhielten sie eine feste Summe, doch wenn sie auf eigene Faust loszogen, erhielt Tim zwar seine Prozente, doch den Löwenanteil durften sie für sich behalten. In jener Hinsicht war Tim ein prima Boss gewesen.
    Andererseits war Joe

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