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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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noch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Habe ich mich in irgendeinem Punkt unklar ausgedrückt?«
    »Nein.«
    »Oder vage?«
    »Nein, Mr.   White.«
    Albert White verschränkte die Arme, nickte und blickte auf seine Schuhe. »Hast du irgendwas in petto? Irgendwelche Jobs, von denen ich wissen sollte?«
    Mit dem letzten Geld von Tim Hickey hatte Joe den Typ bezahlt, der ihn mit den nötigen Informationen für das Ding in Pittsfield versorgt hatte.
    »Nein«, erwiderte Joe. »Nichts in Planung.«
    »Brauchst du Geld?«
    »Mr.   White, Sir?«
    »Geld.« Albert griff in seine Tasche – mit der Hand, die über Emmas Schamhügel geglitten war, ihr Haar gepackt hatte. Er schälte zwei Zehner von einem fetten Bündel und klatschte sie Joe in die Handfläche. »Mit leerem Magen lässt sich schlecht überlegen.«
    »Danke.«
    Und mit ebenjener Hand tätschelte Albert nun auch Joes Wange. »Das wird schon.«
    »Wir könnten uns aus dem Staub machen«, sagte Emma.
    »Aus dem Staub machen?«, gab er zurück. »Du meinst, zusammen?«
    Sie hockten in ihrem Zimmer, am frühen Nachmittag, der einzigen Tageszeit, zu der ihre drei Schwestern, ihre drei Brüder, ihre verbitterte Mutter und ihr ständig aufbrausender Vater nicht zu Hause waren.
    »Wir könnten abhauen«, wiederholte sie, als müsse sie sich von etwas überzeugen, an das sie selbst nicht glaubte.
    »Und wohin? Wovon sollen wir leben?« Er hielt einen Moment inne. »Meinst du das wirklich ernst – zusammen?«
    Sie schwieg. Nun hatte er die Frage schon zweimal gestellt, und beide Male war sie nicht darauf eingegangen.
    »Ehrliche Arbeit ist nicht so mein Ding«, sagte er.
    »Wer sagt denn, dass es unbedingt ehrliche Arbeit sein muss?«
    Er ließ den Blick durch das schäbige Zimmer schweifen, das sie sich mit zwei ihrer Schwestern teilte. Neben dem Fenster hatte sich die Tapete vom Rosshaarputz gelöst. Zwei der Scheiben, von ihrem Atem beschlagen, hatten Risse.
    »Auf jeden Fall müssten wir ziemlich weit weg«, sagte er. »In New York kriegt man keinen Fuß mehr auf den Boden, und in Philly ebenso wenig. Detroit kannst du vergessen. Chicago, Kansas City, Milwaukee – keine Chance für einen wie mich, außer ich fange wieder ganz unten an.«
    »Also auf nach Westen, wie man so schön sagt. Oder runter in den Süden.« Sie vergrub ihre Nase in seiner Halsbeuge und atmete tief ein, eine ungeahnte Sanftmut schien von ihr Besitz zu ergreifen. »Auf jeden Fall brauchen wir Kohle.«
    »Am Samstag wollen wir den Job durchziehen. Bist du Samstag frei?«
    »Um abzuhauen?«
    »Ja.«
    »Da habe ich ’ne Verabredung. Du weißt schon, mit wem.«
    »Sag ihm einfach, er kann dich mal.«
    »Darauf wird’s wohl hinauslaufen.«
    »Nein, ich meinte –«
    »Ich weiß, was du meinst.«
    »Er ist ein mieses Schwein«, sagte Joe, den Blick auf ihren Rücken gerichtet, auf ihr Muttermal, das wie eine feuchte Stelle im Sand aussah.
    Sie wandte den Kopf und musterte ihn mit milder Enttäuschung, einem Blick, der gerade wegen seiner Milde umso herablassender wirkte. »Da täuschst du dich.«
    »Wie? Du hältst ihm auch noch die Stange?«
    »Ehrlich, er ist gar nicht so übel. Außerdem ist es nichts Festes. Ich liebe ihn nicht, und ich bewundere ihn auch nicht. Aber er ist kein Schwein . Hör auf, immer alles zu vereinfachen.«
    »Er hat Tim auf dem Gewissen.«
    »Ach. Und Tim hat sich immer nur um Waisenkinder gekümmert?«
    »Nein, aber –«
    »Aber was? Niemand ist einfach nur gut oder schlecht. Jeder versucht durchs Leben zu kommen, so gut er kann.« Sie zündete sich eine Zigarette an und schüttelte das Streichholz, bis eine kleine Qualmwolke aufstieg. »Urteile nicht ständig über andere.«
    Er konnte den Blick nicht von ihrem Muttermal lassen, verlor sich im nassen Sand. »Trotzdem triffst du dich mit ihm.«
    »Fang bloß nicht damit an. Wenn wir wirklich die Stadt verlassen, dann –«
    »Und ob wir die Stadt verlassen.« Joe hätte sogar das Land verlassen – Hauptsache, kein anderer Kerl fasste sie mehr an.
    »Wo willst du denn hin?«
    »Biloxi«, sagte er, während ihm im selben Moment aufging, dass es tatsächlich gar keine schlechte Idee war. »Tim hatte eine Menge Freunde da unten, Jungs, die ich auch persönlich kenne. Rumschmuggler. Albert bezieht seinen Stoff aus Kanada. Er macht in Whiskey. Wie auch immer, an der Golfküste – Biloxi, Mobile, vielleicht sogar New Orleans, wenn wir die richtigen Leute schmieren – sind wir auf der sicheren Seite, verlass dich
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