In der Nacht (German Edition)
abzuschließen. Ich sehe keinen Sinn darin, immer älter und fetter zu werden, um dann schließlich irgendeinem Herrenclub in Back Bay beizutreten, mit irgendwelchen Arschgeigen Zigarren zu rauchen und über die Schulnoten meiner Kinder zu quatschen. Na toll – und am Ende sacke ich über meinem Schreibtisch zusammen, und dann kratzen sie meinen Namen von der Glastür ab, noch ehe ich überhaupt unter der Erde bin.«
»Aber so ist das Leben«, sagte Danny.
»Für dich vielleicht. Wenn du nach ihren Regeln spielen willst, na schön. Aber diesen Schwachsinn tue ich mir nicht an. Für einen echten Mann zählen nur die Regeln, die er sich selbst auferlegt.«
Abermals taxierten sie sich durch das Drahtgeflecht. Danny war immer Joes Held gewesen, ach was, sein Gott. Und nun war Gott bloß noch jemand, der sich von Pferden fallen ließ, um seine Brötchen zu verdienen.
»Meine Fresse«, sagte Danny leise. »Und du hältst dich für erwachsen?«
»Und ob«, sagte Joe.
Danny steckte die Zigaretten ein und setzte seinen Hut auf.
»Selbst schuld«, sagte er.
Innerhalb der Gefängnismauern galt der White-Pescatore-Krieg mehr oder weniger als beendet, nachdem drei von Alberts Männern bei einem »nächtlichen Fluchtversuch« auf dem Dach erschossen worden waren.
Dennoch kam es immer wieder zu vereinzelten Scharmützeln, und es gab weiterhin böses Blut. Während der nächsten sechs Monate wurde Joe ein ums andere Mal vor Augen geführt, dass Kriege niemals enden. Zwar hatten er, Maso und der Rest des Pescatore-Clans ihre Macht konsolidiert, doch ließ sich unmöglich sagen, ob dieser oder jener Wärter womöglich von der Gegenseite geschmiert wurde oder man diesem oder jenem Häftling vertrauen konnte.
Micky Baer wurde auf dem Hof von einem Typen niedergestochen, der, wie sich herausstellte, mit der Schwester des verstorbenen Dom Pokaski verheiratet war. Micky überlebte, sollte aber für den Rest seines Lebens Probleme beim Pinkeln haben. Von draußen hörten sie, dass ein Wärter namens Colvin Wettschulden bei Syd Mayo hatte, einem Geschäftspartner Albert Whites. Und Colvin verlor weiter.
Dann bekamen sie neue Gesellschaft: Holly Peletos, einer von Whites Gorillas, musste fünf Jahre wegen Totschlags in Charlestown absitzen. Als er im Speisesaal dauernd die Klappe aufriss, dass es Zeit für einen Regimewechsel sei, sorgten sie dafür, dass er den Abflug über das Geländer des obersten Zellengangs machte.
In manchen Nächten tat Joe kein Auge zu, teils, weil ihm die Angst im Nacken saß, teils, weil er sich den Kopf darüber zerbrach, welche Intrigen gerade wieder gesponnen wurden, oder auch einfach nur, weil sein Herz so heftig hämmerte, als wolle es geradewegs durch seine Rippen brechen.
Du hast geschworen, den ganzen Wahnsinn nicht an dich heranzulassen.
Du hast geschworen, dich davon nicht fertigmachen zu lassen.
Vergiss nicht, was für dich immer zuoberst stand: Ich will leben.
Ich komme hier wieder raus.
Was immer es kosten mag.
Maso wurde an einem Frühlingstag im Jahr 1928 entlassen.
»Nächstes Mal siehst du mich am Besuchstag«, sagte er zu Joe. »Auf der anderen Seite des Drahts.«
Joe schüttelte ihm die Hand. »Passen Sie auf sich auf.«
»Ich habe meinen Anwalt mit deinem Fall betraut. Bald bist du wieder draußen. Bleib wachsam, mein Junge, und am Leben.«
Joe versuchte Trost in seinen Worten zu finden, doch war ihm nur allzu bewusst, dass sich seine Haftstrafe doppelt so lang anfühlen würde, sollte das nur ein Lippenbekenntnis sein – schlicht deshalb, weil er ein Fünkchen Hoffnung in sein Leben gelassen hatte. Sobald Maso dem Knast den Rücken kehrte, bestand durchaus die Möglichkeit, dass auch Joe keine Rolle mehr für ihn spielte.
Oder vielleicht hängte er ihm auch einfach nur ein Weilchen die Karotte vor die Nase, damit Joe seine Geschäfte hinter den Gefängnismauern am Laufen hielt, ohne wirklich in Betracht zu ziehen, ihn nach seiner Entlassung anzuheuern.
Wie auch immer, er konnte so oder so nichts anderes tun, als seine Zeit abzusitzen und zu warten, was sich am Ende ergeben würde.
Dass Maso wieder draußen war, konnte kaum jemandem verborgen bleiben. Was hinter den Gefängnismauern nur geschwelt hatte, wurde nun gleichsam mit Benzin übergossen. Im »Mörderischen Mai«, wie die Revolverblätter den Monat tauften, ging es auf Bostons Straßen erstmals zu wie in Detroit oder Chicago. Masos Soldaten fielen über Albert Whites Buchmacher, Schwarzbrenner, Fahrer und
Weitere Kostenlose Bücher