In der Nacht (German Edition)
Anteil?«
»Zwanzig Prozent.«
»Fünfundzwanzig«, sagte Joe.
»Okay.« Masos Blinzeln verriet, dass er auch bis dreißig hochgegangen wäre. »Aber dafür musst du auch was tun.«
Zweiter Teil
Ybor
1929—1933
11
Alles vom Feinsten
Als er Joe vorgeschlagen hatte, seine Geschäfte in West Florida zu übernehmen, hatte Maso ihn auch vor der Hitze gewarnt. Trotzdem hatte Joe das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen, als er an einem Augustmorgen im Jahr 1929 aus dem Zug auf den Bahnsteig der Tampa Union Station trat. Er trug einen karierten Sommeranzug. Die dazugehörige Weste hatte er im Koffer verstaut und die Krawatte gelöst, doch während er, seine Jacke über dem Arm, darauf wartete, dass der Gepäckträger seine Sachen brachte, war er durchgeschwitzt, noch ehe er seine Zigarette zu Ende geraucht hatte. Seinen Wilton hatte er abgenommen, da er befürchtete, die Pomade in seinem Haar würde schmelzen und das Seidenfutter versauen, ihn dann aber schnell wieder aufgesetzt, um seinen Kopf vor der sengenden Sonne zu schützen, während ihm der Schweiß aus den Poren strömte.
Und es lag nicht nur an der Sonne, die hoch und weiß an einem so wolkenlosen Himmel hing, als hätten nie Wolken am Firmament existiert (und vielleicht gab es hier unten ja tatsächlich keine). Es lag an der dschungelartigen Schwüle, und er fühlte sich, als wäre er in einem Ballen Stahlwolle eingeschlossen, den jemand in einen Kessel mit heißem Öl geworfen hatte, einen Kessel, in dem die Temperatur mit jeder Sekunde weiter anstieg.
Die anderen Männer, die aus dem Zug gestiegen waren, hatten ihre Jacken ebenfalls ausgezogen; einige hatten sich ihrer Westen und Krawatten entledigt und die Ärmel aufgekrempelt. Manche trugen ihre Hüte, andere fächelten sich damit Luft zu. Bei den Frauen sah man breitkrempige Samthüte, Glockenhüte aus Filz oder Kapotthütchen. Einige arme Seelen hatten sich für noch wärmere Materialien und schwere Ohrgehänge entschieden; sie trugen Kreppkleider und Seidenschals, wirkten aber nicht sehr glücklich in ihrer Garderobe, wie ihre roten Gesichter nur allzu deutlich verrieten, während sich sorgfältig frisierte Haare kräuselten und so mancher Dutt sich im Stadium der Auflösung befand.
Die Einheimischen waren unschwer zu erkennen – die Männer trugen flache Strohhüte, Kreissägen genannt, kurzärmlige Hemden und Gabardinehosen, dazu zweifarbige Budapester, wie sie dieser Tage in Mode waren, aber deutlich auffälligere als die Zugpassagiere. Wenn die Frauen überhaupt Kopfbedeckungen trugen, dann kleine Hütchen aus Stroh, und dazu einfache weiße Kleidung – so wie die Hübsche, die gerade an ihm vorbeiging. Ihr weißer Rock und die etwas fadenscheinige weiße Bluse waren alles andere als bemerkenswert, aber, Teufel auch, ihr Körper bewegte sich unter dem dünnen Stoff wie etwas, das sich klammheimlich davonzustehlen versuchte, ehe die Sitte davon Wind bekam. Dunkle Haut und üppige Rundungen, die ihn an eine sanfte Dünung erinnerten – einfach paradiesisch, dachte Joe.
Anscheinend machte ihn die Hitze träge, da sie ihn dabei erwischte, wie er sie anstarrte – etwas, das ihm zu Hause in Boston nie passiert war. Doch die Frau – eine Mulattin oder womöglich sogar eine Negerin, er wusste es nicht genau, jedenfalls definitiv dunkelhäutig, bronzefarben – warf ihm einen vernichtenden Blick zu und ging weiter. Vielleicht lag es an der Bullenhitze, vielleicht daran, dass er zwei Jahre im Gefängnis gewesen war, doch Joe gelang es nicht, den Blick abzuwenden. Ihre Hüften schaukelten im selben trägen Rhythmus wie ihr Hintern, zusammen mit den Muskeln ihres Rückens die reinste Sinfonie. Du lieber Himmel, dachte er, ich habe einfach zu lange gesessen. Eine einzelne Strähne hatte sich aus ihrem dunklen, gelockten Haar gelöst, das sie in einem Knoten am Hinterkopf trug. Als sie sich abermals umwandte und ihn scharf fixierte, senkte er den Blick und kam sich vor wie ein Neunjähriger, der gerade dabei erwischt worden war, wie er ein Mädchen an den Zöpfen gezogen hatte. Im selben Moment aber fragte er sich, weshalb er sich schämen sollte. Schließlich hatte sie sich nach ihm umgedreht, oder?
Als er wieder aufsah, war sie in der Menge am anderen Ende des Bahnsteigs verschwunden. Keine Angst , hätte er ihr am liebsten hinterhergerufen. Du wirst mir ebenso wenig das Herz brechen wie ich deins. Meine Tage als Herzensbrecher sind ein für alle Mal vorbei.
In den vergangenen zwei Jahren hatte
Weitere Kostenlose Bücher