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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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gehabt. Er hatte mit ihr Schluss gemacht und sie ihm deshalb diese miese Geschichte angehängt, und uns blieb keine andere Wahl, als ihn zu verhaften. Er wäre ohnehin aus Mangel an Beweisen freigekommen, doch dann standen plötzlich die ehrbaren weißen Bürger Tulsas mit ihren Stricken vor der Tür. Und kurz darauf auch noch ein Haufen Farbiger, darunter auch Luther. Tja, und die Farbigen waren bewaffnet. Weshalb der Lynchmob erst mal unverrichteter Dinge abziehen musste.« Danny trat seine Zigarette mit dem Absatz aus. »Am nächsten Morgen sind die Weißen dann ins Schwarzenviertel gekommen. Und haben den farbigen Jungs gezeigt, was ihnen blüht, wenn sie ihre Knarren auf Weiße richten.«
    »Das war also der Aufstand.«
    Danny schüttelte den Kopf. »Es war kein Aufstand. Es war ein Massaker. Sie knallten die Farbigen ab oder zündeten sie an – Kinder, Frauen, alte Männer, alles, was ihnen vor die Flinte lief. Und die, die den Finger am Abzug hatten, waren lauter brave Bürger und Biedermänner, Kirchgänger und Rotarier. Am Ende haben die Dreckskerle die Häuser mit Brandflaschen beworfen. Die Flüchtenden wurden einfach niedergemäht – an beiden Enden des Viertels hatten sie Maschinengewehrnester aufgebaut. In den Straßen lagen Hunderte Toter – wie ein riesiger Haufen rotverfärbter Wäsche sahen sie aus.« Danny verschränkte die Hände hinter dem Kopf und atmete tief aus. »Beim Abtransport der Leichen habe ich mich immer wieder gefragt: Was ist nur aus meinem Land geworden? Wo soll das alles enden?«
    Sie schwiegen ein paar lange Augenblicke, ehe Joe sagte: »Und Luther?«
    Danny hob eine Hand. »Er hat überlebt. Bei unserer letzten Begegnung war er gerade dabei, seine Sachen zu packen. Er ist mit seiner Frau und dem Kleinen nach Chicago gezogen.« Er hielt einen Moment inne. »Nach so etwas ist man nicht mehr derselbe, Joe. Man schämt sich, weil man überlebt hat. Ich könnte nicht mal richtig erklären, warum. Aber diese Scham frisst einen von innen auf, und allen anderen Überlebenden geht es genauso. Man kann sich nicht mehr in die Augen sehen. An allen, die so etwas miterlebt haben, klebt ein unerträglicher Gestank, und jeder muss für sich selbst herausfinden, wie er damit weiterleben soll. Und deshalb geht man sich gegenseitig aus dem Weg, um nicht noch mehr von diesem Gestank in die Nase zu bekommen.«
    »Was ist mit Nora?«, fragte Joe.
    Danny nickte. »Wir sind immer noch zusammen.«
    »Habt ihr Kinder?«
    Danny schüttelte den Kopf. »Glaubst du, ich hätte dir nicht Bescheid gegeben, wenn du Onkel geworden wärst?«
    »Woher soll ich das wissen? Wir haben uns in den letzten acht Jahren nur ein einziges Mal gesehen, Dan.«
    Danny nickte, und plötzlich erkannte Joe ganz deutlich, was er bis dahin nur vermutet hatte – dass etwas im tiefsten Innern seines Bruders zerbrochen war.
    Doch just im selben Moment kehrte ein Teil des alten Danny zurück. Ein verschmitztes Lächeln spielte um seine Lippen. »Bis vor kurzem haben Nora und ich in New York gelebt. Fünf Jahre lang.«
    »Und was habt ihr dort gemacht?«
    »Streifen.«
    »Streifen?«
    »Filme. Kintopp, Kinofilme, na, Streifen eben.«
    »Du bist jetzt beim Film?«
    Danny nickte, nun offenbar ganz in seinem Element. »Nora hat das angeleiert. Sie hat einen Job bei einer Filmgesellschaft an Land gezogen, Silver Frame heißt der Laden. Juden, trotzdem anständige Kerle. Erst ging’s nur um die Buchhaltung, aber dann ist sie auch mit der Pressearbeit betraut worden, hat für den einen oder anderen Streifen sogar die Kostüme gemacht. So lief das damals, alle haben mit angepackt, da war sich der Regisseur nicht zu schade, mal Kaffee zu machen, und wenn Not am Mann war, ist der Kameramann mit dem Hund der Hauptdarstellerin Gassi gegangen.«
    »Filme?« Joe konnte es immer noch nicht glauben.
    Danny lachte. »Warte, es wird noch besser. Als ich dann ihre Chefs kennengelernt habe, hat mich der eine von ihnen – Herm Silver, ein echtes Ass – gefragt, ob ich vielleicht Lust hätte, bei ein paar Stunts einzuspringen.«
    Joe zündete sich eine Zigarette an. »Was, zum Teufel, sind Stunts?«
    »Schon mal gesehen, wenn ein Schauspieler vom Pferd fällt? Das ist er nicht selbst, sondern ein Stuntman. Ein Profi, der bei bestimmten Szenen einspringt, zum Beispiel, wenn der Hauptdarsteller auf einer Bananenschale ausrutscht, über die Bordsteinkante stolpert oder aus dem zweiten Stock fällt. Sieh mal genau hin, wenn du das nächste Mal im Kino

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