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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Titelseite in seiner winzigen, verkrampften Handschrift vermerkt stand: »Ehemaliges Eigentum von Lancelot Hudson III . L. m. a. A.« Joe las Dumas, Dickens und Twain. Er las Malthus, Adam Smith, Marx & Engels, Machiavelli, die Federalist Papers und die Werke von Bastiat. Als er sich durch die Hudson-Kollektion geackert hatte, las er, was sonst vorhanden war – größtenteils Groschenromane und Western –, dazu jede Zeitschrift und Zeitung, deren Lektüre die Gefängnisleitung gestattete.
    Als er in einer Ausgabe des Boston Traveller blätterte, stieß er auf einen Artikel über einen Brand im East-Coast-Busterminal in der St.   James Avenue. Eine defekte Oberleitung hatte Funken gesprüht und den Weihnachtsbaum in Brand gesetzt, mit dem die Wartehalle geschmückt gewesen war. Kurz darauf hatten die Flammen auf das gesamte Gebäude übergegriffen. Joe stockte der Atem, während er die zum Artikel gehörenden Fotos in Augenschein nahm. In der Ecke eines Bilds entdeckte er das Schließfach, in dem er seine Ersparnisse – inklusive der 62   000   Dollar aus dem Banküberfall – gebunkert hatte. Ein brennender Deckenbalken war darauf gestürzt, und das Metall hatte sich in der Gluthitze schwarz verfärbt.
    Joe wusste nicht, was schlimmer war – dass er plötzlich keine Luft mehr bekam, oder das Gefühl, dass seine Luftröhre brannte, als würde er gleich Feuer kotzen.
    Dem Artikel zufolge was das Gebäude völlig zerstört worden. Nichts hatte aus den Flammen gerettet werden können. Was Joe bezweifelte. Eines Tages, wenn er genug Zeit dazu hatte, würde er überprüfen, welcher Angestellte der East-Coast-Buslinie sich dem Vernehmen nach mit reichlich Kohle vorzeitig in den Ruhestand verabschiedet hatte.
    Doch das musste warten. Erst einmal brauchte er einen Job.
    Und genau den Job bot ihm Maso im späten Winter an, an jenem Tag, als er Joe darüber unterrichtete, dass seinem Antrag auf vorzeitige Haftentlassung über kurz oder lang stattgegeben würde.
    Maso blickte ihn durch das Drahtgeflecht an. »Bald bist du wieder draußen.«
    »Bei allem Respekt«, sagte Joe. »Wann?«
    »Spätestens im Sommer.«
    Joe lächelte. »Wirklich?«
    Maso nickte. »So ein Richter kostet aber einiges. Das musst du natürlich abarbeiten.«
    »Ich hätte gedacht, wir sind quitt. Weil ich Sie am Leben gelassen habe.«
    Maso verengte die Augen. Flott sah er aus in seinem Kaschmirmantel und einem Anzug mit einer weißen Nelke am Revers, die farblich perfekt zum seidenen Hutband passte. »Einverstanden. Unser gemeinsamer Freund, Mr.   White, hält sich übrigens in Tampa auf – und macht da reichlich Furore.«
    »In Tampa?«
    Maso nickte. »Ein paar Läden hier hat er immer noch unter Kontrolle. Leider sind mir die Hände gebunden, weil unsere Jungs aus New York auch beteiligt sind und klargemacht haben, dass ich erst mal den Ball flach halten soll. Er schafft den Rum über unsere Routen hierher, aber ich kann nichts unternehmen. Aber weil er dort unten in meinem Gebiet wildert, hat uns New York grünes Licht gegeben, ihn aus Tampa zu vertreiben.«
    »Und wie weit geht das grüne Licht?«
    »Alles außer Mord.«
    »Okay. Also, was haben Sie vor?«
    »Das ist die falsche Frage, Joe. Die Frage ist, was du machen willst. Ich möchte, dass du da unten übernimmst.«
    »In Tampa? Da hat doch Lou Ormino den Daumen drauf.«
    »Lou wird zu dem Schluss kommen, dass ihm der Job nichts als Kopfschmerzen bereitet.«
    »Ach ja? Und wann?«
    »Etwa zehn Minuten, bevor du dort eintrudelst.«
    Joe überlegte ein paar Sekunden. »Tampa, ja?«
    »Heiß dort.«
    »Hitze macht mir nichts.«
    »So heiß wird dir garantiert nie wieder.«
    Joe zuckte mit den Schultern. Der Alte neigte zu Übertreibungen. »Ich brauche aber jemanden, dem ich trauen kann.«
    »Ich wusste, dass du das sagen würdest.«
    »Ja?«
    Maso nickte wieder. »Dein Mann ist schon da. Seit sechs Monaten.«
    »Wo kommt er her?«
    »Montreal.«
    »Seit sechs Monaten?«, sagte Joe. »Wie lange bereiten Sie das schon vor?«
    »Seit Lou Ormino in die eigene Tasche wirtschaftet und Albert White mir den Rest meiner Kohle streitig macht.« Maso beugte sich vor. »Wenn du das dort unten klärst, Joe, wirst du den Rest deines Lebens wie ein König verbringen.«
    »Und wir sind dann gleichberechtigte Partner?«
    »Nein«, sagte Maso.
    »Lou ist doch auch gleichgestellt.«
    »Tja.« Einen Augenblick lang ließ Maso die Maske herunter. »Und sieh dir an, wie die Sache endet.«
    »Was ist mein

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