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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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bist. Bei den heiklen Sachen ist immer ein Stuntman im Bild – also jemand wie ich, verstehst du?«
    »Warte mal«, sagte Joe. »In wie vielen Filmen hast du denn mitgespielt?«
    Danny überlegte einen Moment. »So etwa fünfundsiebzig.«
    Joe fiel beinahe die Zigarette aus dem Mund. »Fünfundsiebzig?«
    »Na ja, eine Menge davon waren bloß Kurzfilme. Das sind die Streifen, die im Kino vor dem eigentlichen –«
    »Jetzt mach aber mal halblang. Ich weiß, was Kurzfilme sind.«
    »Wieso? Du hattest doch auch keine Ahnung, was Stunts sind.«
    Joe zeigte ihm den Mittelfinger.
    »Nun ja, jedenfalls habe ich den einen oder anderen Film gedreht. Ein paar von den Kurzstreifen habe ich sogar geschrieben.«
    Joe blieb der Mund offen stehen. »Du hast…«
    Danny nickte. »Kleinkram. Ein paar Kids von der Lower East Side wollen sich ein bisschen was dazuverdienen, indem sie den Fiffi einer reichen Lady waschen, der Hund läuft ihnen weg, die reiche Lady ruft die Cops, es geht drunter und drüber, na ja, solche Nummern eben.«
    Joe ließ seine Zigarette fallen, bevor er sich die Finger daran verbrannte. »Wie viele Filme hast du geschrieben?«
    »Fünf bis jetzt, aber Herm meint, ich hätte ein Händchen dafür. Er hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mal einen richtigen Spielfilm zu schreiben – jedenfalls glaubt er, ich hätte das Zeug zum Drehbuchautor.«
    »Was ist ein Drehbuchautor?«
    »Einer, der Filme schreibt, du Blitzmerker«, sagte Danny und hob seinerseits den Mittelfinger.
    »Und was sagt Nora dazu?«
    »Die ist in Kalifornien.«
    »Ich dachte, ihr wohnt in New York.«
    »Haben wir auch. Aber kürzlich hat Silver Frame zwei billig heruntergekurbelte Streifen herausgebracht, die beide Kassenschlager waren. Das Problem besteht darin, dass Edison in New York alles und jeden wegen seiner Kamerapatente verklagt. In Kalifornien hingegen bedeuten diese Patente gar nichts. Außerdem ist das Wetter dort unschlagbar, dreihundertfünfundsechzig Tage Sonne im Jahr. Wie auch immer, die Silvers haben gesagt, jetzt oder nie. Nora ist jetzt Produktionsleiterin und schon mal vorgefahren, um das Terrain zu sondieren – in drei Wochen drehen wir einen Western, Das Gesetz des Todestals . Ich habe hier bloß vorbeigeschaut, um Dad Bescheid zu geben, dass wir an die Westküste ziehen, wer weiß, wann wir uns sonst wiedergesehen hätten.«
    »Ich freu mich für dich«, sagte Joe und konnte es immer noch nicht fassen. Dannys Leben – Boxer, Cop, Gewerkschaftsfunktionär, Geschäftsmann, Sheriff, Stuntman, angehender Schriftsteller – war eine amerikanische Karriere wie aus dem Bilderbuch.
    »Na, wie wär’s«, sagte sein Bruder.
    »Was?«
    »Wenn du hier rauskommst. Steig bei uns ein.«
    »Was?«
    »Ich mein’s ernst. Ist nicht das Schlechteste, für Geld vom Pferd zu fallen oder durch Fensterscheiben aus Zuckerglas zu stürzen. Und die übrige Zeit liegst du am Pool und flirtest ein bisschen mit den Starlets.«
    Einen Moment lang konnte Joe dieses neue Leben vor sich sehen – traumhaft blaues Wasser, Palmen und Mädchen mit golden schimmernder Haut.
    »Zwei Wochen mit dem Zug, kleiner Bruder, und schon bist du bei uns.«
    Joe lachte, während er sich all das vorstellte.
    »Der Job macht Spaß«, sagte Danny. »Und ich könnte dir zeigen, wie’s geht.«
    Joe lächelte immer noch, schüttelte aber den Kopf.
    »Und es ist ehrliche Arbeit«, fügte Danny hinzu.
    »Ich weiß«, sagte Joe.
    »Außerdem würdest du ein Leben führen, bei dem du nicht mehr dauernd über die Schulter sehen musst.«
    »Darum geht’s nicht.«
    »Worum dann?« Danny schien aufrichtig interessiert.
    »Die Nacht. Sie hat ihre eigenen Gesetze.«
    »Der Tag genauso.«
    »Oh, natürlich«, sagte Joe. »Aber sie gefallen mir nicht.«
    Wortlos musterten sie sich durch das Drahtgeflecht.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte Danny schließlich.
    »Das war mir klar«, erwiderte Joe. »Du glaubst eben an Gut und Böse. Ein Kredithai lässt jemandem die Beine brechen, weil er seine Schulden nicht bezahlt hat, ein Bankier sperrt jemand anderem das Konto, und du glaubst, da gäbe es einen Unterschied – als wäre der Banker ein Ehrenmann, der Kredithai aber ein Krimineller. Ich bin auf Seiten des Kredithais, weil er niemandem etwas vormacht, und wenn du mich fragst, sollte der Bankier genau dort sitzen, wo ich gerade mein Leben friste. Ich habe keine Lust, Steuern zu zahlen, dem Boss beim Firmenpicknick eine Limonade zu holen und eine Lebensversicherung

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